Wenn Spitzel zu sehr lieben

Wie aus einem Stasi-Offizier ein guter Engel wird, erzählt Florian Henckel von Donnersmarck in seinem Spielfilmdebüt „Das Leben der Anderen“. Leider mischen sich in die präzisen Beobachtungen des DDR-Überwachungssystems Kolportage-Elemente

von CLAUS LÖSER

Der Start von „Das Leben der Anderen“ passt ins aktuelle Geschehen. In der vergangenen Woche polterten in Anwesenheit des Berliner Kultursenators ehemalige MfS-Mitarbeiter gegen ihre vermeintliche Stigmatisierung als Täter. Ihre einstigen Opfer stellten sie im Umkehrschluss als rechtmäßig überführte Verbrecher dar. Senator Thomas Flierl (PDS) sah sich nicht veranlasst, diesen Behauptungen angemessen entgegenzutreten. Ort des Geschehens war ausgerechnet das zur Gedenkstätte umgewidmete Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, das auch als einer der Schauplätze von „Das Leben der Anderen“ diente. Dem Auftreten der unbelehrbaren Ex-Offiziere war ein Streit um Gedenktafeln im Umfeld der Gedenkstätte vorangegangen, auf denen der Begriff „kommunistische Diktatur“ auftauchen sollte – ein Reizwort unter Weichzeichnern der DDR-Vergangenheit.

Die PDS- Mehrheit im Bezirk Lichtenberg intervenierte gegen diese Formulierung. „Das Leben der Anderen“ reiht sich nicht in diesen Kanon der Verharmlosung. Durch seine differenzierte Perspektive stellt der Film potenziell einen wichtigen Beitrag zur Analyse der „zweiten deutschen Diktatur“ dar. Dennoch scheitert er an seinem Gegenstand.

Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) ist ein besonders eifriger Kämpfer an der unsichtbaren Front. Als ihm aufgetragen wird, den bislang unbescholtenen Dramatiker Georg Dreyman (Sebastian Koch) zu überprüfen, scheinen ihm zunächst alle Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen legitim. Er nistet sich im Dachboden über Dreymans Wohnung ein, nachdem er diese hat verwanzen lassen, und protokolliert das Geschehen höchstpersönlich. Bis ihm das Ungeheuerliche widerfährt: Mit dem Eindringen in den Alltag seines Feindes nähert er sich diesem an. Das skrupellose Verhalten seines Vorgesetzten Grubitz (Ulrich Tukur) und die Verdorbenheit des DDR-Kulturministers (Thomas Thieme) führen endgültig zum Umdenken. Aus dem Oppositionellen-Jäger wird eine Art Schutzengel, der das Ärgste von Dreyman abzuhalten vermag.

Die MfS-Veteranen von Hohenschönhausen werden ihren fiktiven Genossen Wiesler wegen seiner unerhörten Fraternisierung mit dem Gegner nicht mögen. Allein schon dieser Umstand verhilft „Das Leben der Anderen“ zur Legitimierung. Der genrebedingten Fiktionalisierung ist insgesamt kein Vorwurf zu machen. Unerheblich auch, dass ein solcher Fall des offensiven Seitenwechsels nicht verbürgt ist. Woran es dem Film gebricht, sind jedoch eine Reihe von Ungenauigkeiten, die sich aus dem dramaturgischen Korsett ergeben. So wird als Handlungszeit das Jahr 1984 angegeben – acht Jahre nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und nur wenige Monate vor der Berufung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU. Die innenpolitische Situation Ostdeutschlands in Florian Henckel von Donnersmarcks filmischer Anordnung ähnelt aber eher der des Hochstalinismus, in dem der Repressionsapparat tagtäglich über Leichen ging.

In den Mittachtzigerjahren hätte ein Autor vom Status Dreymans wegen eines Artikels im Spiegel ganz sicher nicht um Leib und Leben fürchten müssen. Seine publizistische Präsenz im Westen hätte ihn, im Gegenteil, geschützt. Geradezu absurd fällt die Wacht Wieslers im Dachgeschoss des Dichters aus. Davon abgesehen, dass das simultane Abtippen von Gesprächen in abgehörten Wohnungen Praxis und Logik widerspricht, dürfte das nächtliche Hämmern der Schreibmaschine kaum konspirativ gewirkt haben. Dreymans schöne Freundin Sieland (Martina Gedeck) wird als überaus begabte, doch labile, weil tablettenabhängige Schauspielerin eingeführt. Dadurch, dass ihre Affäre mit dem Kulturminister der DDR zum treibenden Moment avanciert, rutscht das Stasi-Thema auf das Niveau einer schmierigen Hintertreppen-Intrige. Wenn die DDR-Nomenklatura so hedonistisch gewesen wäre, hätte ihr immerhin ein menschlicher Zug angehaftet. Und wenn sich Hauptmann Wiesler eine volkseigene Nutte in den Neubaublock bestellt, verkommt das Ganze endgültig zum politisch verbrämten Herrenwitz.

Es sind diese Vermischungen von behaupteter Geschichtsschreibung und ungehemmter Kolportage, die „Das Leben der Anderen“ letztlich scheitern lassen. Öfter scheint es, als hätten Geduld und Neugier die Filmemacher zyklisch verlassen. Denn neben sensiblen Passagen stehen plötzlich billigste Klischees. Und auch Ulrich Mühes sympathischer Hundeblick vermag auf Dauer nicht die Untiefen des Films zu kompensieren. Wenn Stasi-Spitzel in Mänteln aufmarschieren, wie sie von der Gestapo getragen wurden, bedeuten jahrelange, im voluminösen Presseheft aufgeführte Recherchen gar nichts mehr.

Immerhin bleiben Momente, in denen die Perfidie des DDR-Systems ansatzweise aufblitzt. Vielleicht sollte „Das Leben der Anderen“ den MfS-Rentnern zwangsweise vorgesetzt werden, so wie Alex in „Clockwork Orange“ die Bilder aus Frau Riefenstahls „Triumph des Willens“.

„Das Leben der Anderen“. Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Mit Ulrich Mühe, Martina Gedeck u. a. Deutschland 2005, 137 Min.