Anmelder der Luxemburg-Liebknecht-Demo im Porträt: Der Orthodoxe

Klaus Meinel war Stasi-Major. Sein Sohn ein Neonazi. Am Sonntag ist Meinel wie jedes Jahr wieder Anmelder der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration.

Grabstein von Rosa Luxemburg an der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde Bild: reuters

Die Kekse hat Klaus Meinel nicht angerührt. Sie standen zwei Stunden lang vor ihm, auf dem Tisch im Flur, die offene Schachtel schon halb leer. Er hätte durchaus Lust auf Kekse gehabt. Aber er war sich nicht sicher, ob sie den Freunden im Nebenbüro gehören. Und ob die es ihm erlauben würden, davon zu essen. Anstand gehört zu Klaus Meinel.

Und deshalb wird dieser Sonntag für den 60-Jährigen wieder der schönste Tag des Jahres. Wenn alles gut geht. Seit 1992 meldet Meinel die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin an, den Gang vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde am zweiten Sonntag im Januar. In den letzten Jahren kamen je rund 10.000 Menschen, es ist die wohl größte regelmäßige linke Demonstration in Deutschland.

Liebkecht und Luxemburg: Die Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie wurden am 15. Januar 1919 von Freikorps in Berlin ermordet. Luxemburgs Leiche wurde in den Kanal geworfen und erst nach Monaten gefunden.

Die Trauerdemo: Die Demonstration beginnt am Sonntag um 10 Uhr am Frankfurter Tor und geht von da aus zum Gedenkstein der Sozialisten des Friedhofs Friedrichsfelde. Dort findet der Tradition nach ein "stilles Gedenken" statt, an dem auch viele hundert Menschen unabhängig von der Demonstration teilnehmen.

Die Nelken: Am Gedenkstein werden traditionell neben Kränzen vor allem rote Nelken, Symbole der Arbeiterbewegung, niedergelegt.

Die Party: Berliner Antifa-Gruppen organisieren am Vorabend der Demo ab 21 Uhr eine LL-Soli-Party im Kato am Schlesischen Tor. (lus)

Nicht nur für den Gedenkmarsch zeichnet Meinel mit seinem Namen. Seit der Wende hat er über 120 Demonstrationen angemeldet. Seine Adresse wurde schon tausendfach mit dem Vorsatz "V.i.S.d.P." auf Flyer und Plakate gedruckt. Er wohnt seit Jahrzehnten in der Schlange, einem S-förmigen Gebäude am Platz der Vereinten Nationen. 300 Meter lang, elf Stockwerke hoch, ein Lehrbuch-Beispiel für sozialistischen Städtebau.

Doch dort wird gerade renoviert. Aber Klaus Meinel hat nicht nur ein Zuhause. "Wir hätten uns auch am Mehringplatz treffen können oder im Karl-Liebknecht-Haus", sagt Meinel. Schließlich hat er das Haus der Demokratie als Treffpunkt vorgeschlagen, hier beteiligt er sich an Clof, der Creative Lobby of Future. Zudem arbeitet er bei der Kommunistischen Plattform der Linken mit. Auch wenn er in die Partei nie eintreten würde. Sie ist ihm zu regierungsfixiert. Hartz IV im Bund ablehnen und als Senatspartei auf Landesebene durchsetzen müssen, das gehe nicht, meint Meinel. Er ist Mitglied der DKP.

Dass er Karl und Rosa kennen gelernt hat, ist lange her. Meinel spricht immer von Karl und Rosa, manchmal von "dem Karl" und "der Rosa". "Liebknecht" oder "Luxemburg" sagt er selten. Unter Genossen wird geduzt. "Ich hatte das Glück, in der DDR zur Schule gegangen zu sein", sagt Meinel. Deshalb habe er schon in der ersten Klasse von den ermordeten Anführern des Spartakusbundes gehört. "Sie sind heute immer noch bessere Vorbilder als ihre Mörder, die all die Jahre geschützt wurden."

Der Gedenkmarsch nach Friedrichsfelde am zweiten Sonntag im Januar gehörte für ihn zum Jahr wie Weihnachten. "Es war Gewohnheit als DDR-Bürger", sagt Meinel. Auch 1991, als das Gedenken erstmals nicht mehr staatlich organisiert wurde, ging Meinel an die Gräber - mit Tausenden anderen. Hatte er das erwartet? Meinel zögert. "Ich war auch ein bisschen überrascht", sagt er.

Noch im gleichen Jahr plante der Bezirk Friedrichshain den Abriss des 19 Meter hohen Lenin-Denkmals vor Meinels Haustür. Mit anderen gründete er eine Bürgerinitiative dagegen. 1992 meldete zum Gedenktag erstmals eine Demonstration vom Platz der Vereinten Nationen nach Friedrichsfelde an. Eine LLL-Demo - Lenin war jetzt mit im Boot. In den Folgejahren wuchs die Demonstration, schon 1995 war die Bürgerinitiative nicht mehr in der Lage, den Auflagen der Polizei gerecht zu werden, und gründete ein breiteres Bündnis aus Antifa-Gruppen und Linken.

Er habe erst einiges lernen müssen nach der Wende, sagt Meinel. Das mit den zehn Stunden zum Beispiel. Bei der Vorbereitung eines Aufrufs zur Demo gegen den Golfkrieg 1990 hätten sie einmal von sechs Uhr abends bis vier Uhr morgens über den Text diskutiert. Dann las jemand noch einmal den Vorschlag vor, den er abends vorgestellt hatte. Und er wurde abgenickt. Anstrengend, aber interessant, sagt Meinel. Für ihn war der Pluralismus und die Diskussionskultur in der Linken neu.

Meinel kommt aus dem Militär. Er war Major im DDR-Ministerium für Staatssicherheit, Abteilung Terrorismusbekämpfung. "So etwas wie die GSG 9", sagt Meinel. Im MfS-Handbuch der Birthler-Behörde taucht er noch unter Klaus-Peter Meinel auf, den Peter hat er nach der Wende hinter sich gelassen. Noch 1989 bekam er die Leitung der Unterabteilung "Spezifische Kampfkräfte" übertragen. Seine Aufgaben: "militärisch-operative Bekämpfung" etwaiger terroristischer Anschläge in der DDR, Sicherung gesellschaftlicher Großereignisse, Beteiligung am Schutz führender Repräsentanten von Staat und Partei, Bewachung der Auslandsvertretungen der DDR sowie Durchführung "spezifischer Kampfaufgaben" im Kriegsfall einschließlich der Ausführung subversiver Akte gegen die Bundesrepublik.

Nach der Wende wurde er "Offizier für Terroranalyse" im Ost-Berliner Innenministerium, jedoch noch vor der Wiedervereinigung entlassen. Er schulte um zum Buchhalter, auch da muss man genau sein, das ist seine Stärke. Als er das erste Mal arbeitslos wurde, ging er 1994 als Minenräumer nach Mosambik. "Das ist wie jeder Beruf", sagt er. Und dann: "Man geht davon aus, dass man es überlebt." Er blieb ein Jahr, das einzige, in dem die LL-Demo ohne ihn stattfand.

Bei der Tageszeitung junge Welt, wo er anschließend Buchhalter war, belächelten ihn einige junge Mitarbeiter als Stasi-Onkel. Schlampige Spesenabrechnungen habe er, so ein ehemaliger Redakteur, mit dem Satz zurückgegeben: "So was hätte es bei uns beim Militär nicht gegeben." Es sei klar gewesen, dass Meinel auf der Seite des orthodox-linken Geschäftsführers gestanden habe, als die Redaktion 1997 wegen des Streits um die Ausrichtung streikte.

Die von den Streikenden gegründete Jungle World amüsierte sich dann auch 2002, als Meinels 20-jähriger Sohn als Mitglied der heute verbotenen Neonazi-Kameradschaft Tor enttarnt wird. Der Sohn hatte Hakenkreuze geschmiert - ausgerechnet auf der Route der LL-Demo. "Ja, es ist wahr, dass er bei dieser Gruppe dabei war, ohne dass ich etwas davon wusste", sagt Meinel. War? "Ich hoffe."

Er hat dem Sohn gedroht, den Kontakt abzubrechen, aber jetzt reden sie wieder miteinander. "Ich hoffe, dass er ein vernünftiger Mensch wird und kein Verbrecher." Man dürfe nicht aufhören Menschen überzeugen zu wollen. Davon, dass am S-Bahn-Chaos nicht Herr Mehdorn schuld ist, sondern die Privatisierung. Davon, dass an der Finanzkrise nicht die Manager und Banken schuld sind, sondern das Wirtschaftssystem. Davon, dass Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen.

Der Vorfall mit dem Sohn wiegt doppelt schwer. Denn hat der Geschichte einen Knacks gegeben, die er so gerne erzählt. Sie handelt von seiner Familie, die seit Generationen zu ihren Überzeugungen steht. Sein Urgroßvater mütterlicherseits war Sozialdemokrat, sein Urgroßvater väterlicherseits Kommunist, beide wurden als alte Männer von der Gestapo verprügelt.

Die Geschichte gehörte auch zum Ersten, was Laura von Wimmersperg von ihm hörte, als er sie nach Hause fuhr nach einer Vorbereitung für eine Demonstration gegen den Golfkrieg. Laura von Wimmersperg hatte mit der Berliner Friedenskoordination schon zahlreiche Protestzüge in West-Berlin organisiert. Nun, nach dem Mauerfall, waren plötzlich viele neue Menschen beim Vorbereitungstreffen, Meinel war einer davon. Er sagt, er habe viel von Laura gelernt. Sie sagt, dass sie ihm vertraut. Mittlerweile haben die beiden viele Demos gemeinsam organisiert, auch die gegen den Irakkrieg 2003, zu der eine halbe Million Menschen kamen. Von Wimmersperg sagt, sie würde mit Meinel barfuß durch die Wüste gehen. Seine Stasi-Zeit spiele für sie keine Rolle, "Klaus ist kein Verräter". Er wisse immer so gut, was zu tun ist.

Ungeplante Eskalationen sind Meinels größte Sorge. Man müsse sich absprechen und koordiniert handeln. "Ein Mann, ein Wort". Mit dieser Disziplin habe man es in den letzten Jahren geschafft, dass es keine Gewalt und keine Polizeiübergriffe bei der Demonstration gegeben habe. Meinel hofft, dass das auch am Sonntag klappt. Als Demonstrationsanmelder wird er dann immer auf der Höhe des ersten Transparents laufen. Es ist eine Auflage der Polizei. Er kennt die Regel. Er wird sich daran halten.

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