Aktionskünstler zum Mauerfall: Wo sind die Mauertoten?

Pünktlich zum Mauerfall-Jubiläum sind in Berlin weiße Gedenkkreuze verschwunden. Hinter der Aktion steckt das Zentrum für Politische Schönheit.

Gedenkkreuz in einem Auffanglager vor Melilla, an der EU-Außengrenze. Bild: Patryk Witt/ Zentrum für Politische Schönheit

BERLIN taz | Es sind weiße Kreuze, die hier am Zaun im Berliner Regierungsviertel an die Mauertoten erinnern. Die Namen von Günter Litfin, Udo Düllick oder Hans Räwel stehen darauf. Sie alle kamen bei dem Versuch ums Leben, aus der DDR zu fliehen. Und diese weißen Kreuze sollen an sie erinnern. Kurz bevor am 9. November mit einem großen Festakt in Berlin der 25. Jahrestag des deutschen Mauerfalls gefeiert wird, sind die weißen Gedenkkreuze verschwunden. Aktionskünstler haben sie entwendet. Wo am Fuße des Reichstagsgebäudes zuvor die weißen Kreuze hingen, haben sie stattdessen ein Schild aufgestellt. Aufschrift: „Hier wird nicht gedacht.“

Hinter der Provokation steht das „Zentrum für politische Schönheit“, eine Gruppe von Aktionskünstlern, die zuletzt für Schlagzeilen sorgte, als sie mit einer vermeintlichen „Kindertransporthilfe des Bundes“ im Namen von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) versprach, 55.000 syrische Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Mit der jetzigen Aktion will das Zentrum, das sich selbst einen „aggressiven Humanismus“ auf die Fahne geschrieben hat, die anstehenden Gedenkzeremonien kritisieren. Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit sagte der taz: „Die Mauertoten sind geflüchtet, sie wollen an jenen Stellen an die deutsche Geschichte erinnen, wo sich heute die wahren humanitären Katastrophen abspielen: an Europas Außenmauern.“ In einem Kampagnenvideo heißt es mit dramatischer Untergrundmusik: "Die Mauertoten sind jetzt in den Armen ihrer zukünftigen Schwestern und Brüder, bei Flüchtlingen, die als nächstes an den europäischen Außenmauern sterben werden."

Tatsächlich war die Künstlergruppe mit weißen Kreuzen in die sogenannten "Auffanglager" etwa nach Melilla gereist, einer spanischen Exklave an der nordafrikanischen Küste, wo sich Flüchtlinge sammeln, die dort mir gigantischen Grenzvorrichtungen von der Einreise nach Europa abgehalten werden sollen. Auf Fotos halten die Flüchtlinge die weißen Kreuze mit den Namen der deutschen Mauertoten in ihren Händen. Auf anderen Bildern dokumentiert die Gruppe die gigantischen Grenzanlagen, mit denen die EU sich etwa an den griechischen und bulgarischen Außengrenzen abschottet

So ist mit dem vermeintlichen Diebstahl der weißen Kreuze in Berlin eine neue Kampagne des Zentrums verbunden, mit dem die Aktivisten seit Montagmorgen für den „ersten europäischen Mauerfall“ werben. Auf einer Kampagnen-Homepage werden Unterstützer aufgefordert, Geld für eine ganz besondere Reise zu spenden: Ein Kurztrip zum "Ersten europäischen Mauerfall".

Mit den Spendengeldern will die Künstlergruppe Busse finanzieren, die ab dem 7. November an die Außengrenzanlagen der EU in Südeuropa fahren sollen. Dort sollen pünktlich zum Jahrestag des Mauerfalls dann mit Bolzenschneidern Löcher in die massiven Zaunanlagen geschnitten werden – ganz nach dem deutschen historischen Vorbild. Eine Bauanleitung, im Stile einer IKEA-Anleitung, zur Demontage der EU-Grenzen liefern die Aktivisten auf ihrer Homepage gleich mit. Freiwillige, die sich an dieser Aktion beteiligen wollen, können sich für einen Platz in der Reisegesellschaft bewerben. Allerdings nur, so sagt die Gruppe, wenn sie auch wirklich bereit sind, für den nächsten Mauerfall aktiv zu kämpfen - statt nur dem letzten zu gedenken.

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