Hipster-Schnaps Mezcal: Der Unbestechliche

Mezcal ist der interessantere Bruder des Tequila. Was einst die Besitzlosen betäubte, befeuert heute die Synapsen der Großstädter. Das hat weitreichende Folgen.

Wurm als Qualitätskontrolle: bei zu wenig Alkohol lößt er sich auf. Bild: dpa

OAXACA taz | Anfangs liegt er rauchig und harzig auf der Zunge wie die fermentierten Agaven, aus denen er gemacht wird. Dann rinnt er brennend die Kehle hinab. Je nach Sorte schmeckt er im Abgang nach beigefügten Insekten, Pinien- oder Eichenfässern – wenn er jung ist, ungewöhnlich fruchtig für einen Hochprozentigen.

Vielleicht beschreibt sich Mezcal auch am besten über die Gegend, aus der er kommt: das auf etwa 1.500 Metern gelegene Hochland des mexikanischen Bundesstaats Oaxaca, wo nicht viel mehr wächst als Agaven, deren grünblaue, dornengekrönte Blätter wie Nadeln aus der trockenen Erde schießen.

Schon seit Tausenden von Jahren räuchert man hier Agaven, zerkleinert sie mit von Eseln angetriebenen Mühlsteinen, fermentiert und destilliert sie. Oaxaca war der Ausgangspunkt der demokratischen mexikanischen Revolution des 19. Jahrhunderts, ein Ort voll dominikanischer Missionen, für Mexiko eine Art Kulturwiege. „Getränk der Götter“ nannten den Mezcal bereits die vor den Konquistadoren hier lebenden Zapoteken.

Ohne derlei Authentizitätskitsch geht es kaum, wenn man von Mezcal spricht. Neben seinem oft überraschenden Geschmack ist es die ihn umgebende Aura von Tradition, die ihn zum Kultgetränk hat werden lassen. In Bars von London über New York bis Berlin gilt er mittlerweile als der weniger bekannte, interessantere Bruder des Tequilas.

Dabei ist Tequila eigentlich eine spezielle Sorte Mezcal aus dem Norden Mexikos. Im Unterschied zu dem auch in Mexiko als Massengetränk in Misskredit geratenen Agavenschnaps aus dem Norden ist es nicht üblich, Mezcal zu kippen – wie dies bei Tequila zumindest außerhalb Mexikos Usus ist. Man genießt ihn Schluck für Schluck.

Mezcal wird stadtfein

Bis zur Mitte der nuller Jahre galt Mezcal – ähnlich wie einst Grappa – selbst als billige Alltagsflucht der Armen. Dann entdeckte ihn die Szene Mexiko-Stadts, schenkte ihn anstelle von Bier und Wein quasi auf jeder Ausstellungseröffnung aus.

Das Zentrum der Mezcal-Produktion befindet sich in Santiago Matatlán. Das 3.000-Seelen-Dorf liegt in den Bergen etwa 50 Kilometer südöstlich von Oaxaca de Juárez, der Hauptstadt des Bundesstaats Oaxaca – ein beliebtes Touristenziel von deutschen und französischen Urlaubern.

Das Dorf Santiago Matatlán mag sich dagegen, wie ein Schild am Ortseingang verkündet, „Welthauptstadt des Mezcal“ nennen, es besteht aus nicht viel mehr als einer Durchgangsstraße. Rechts und links Häuser mit unverputztem Mauerwerk. Das zweite Stockwerk ist zumeist unvollendet. Im kargen Umland überlebt fast nur die gegen Trockenheit besonders resistente Agave.

Von Besuchern keine Spur. An den neuen Mezcal-Hype gemahnen nur handgemalte Schilder, die den Schnaps als „orgánico“ – bio – und „artesanal“ – handgemacht – anpreisen. Ersterem ist nicht ganz zu trauen, da häufig chemische Beschleuniger beim Fermentierungsprozess verwendet werden, und Letzteres bedeutet schlicht, dass sich Maschinen hier kaum einer leisten kann.

Schnaps für die Autofahrer

In Santiago Matatlán geschieht die Mezcalproduktion noch auf offener Straße. Überall rauchen Agavenherzen, Esel treiben die Mühlen. Fliegen laben sich an den nussbraunen Stückchen vergorenen Agavenfleischs. Die Brenner laden ein, von jedem Arbeitsschritt zu probieren und von den unterschiedlichen Sorten des Mezcal: von der ersten, fast transparenten mit bis zu 60 Prozent Alkoholgehalt, bis zur letzten, die gelb wie Apfelsaft ist und nur noch fünf Prozent hat. Der Schnaps wird durch Bambusrohre direkt aus den Fässern gesogen. Noch niemand scheint auf die Idee gekommen zu sein, das unhygienisch zu finden. Oder dass es irgendwie scheiße ist, den durchkommenden Autofahrern einen Schnaps nach dem anderen anzubieten.

In Santiago Matatlán wird der torkelnde Gang zum Wagen mit einem Lachen quittiert. Es wird einem ja eh niemand auf der Landstraße entgegenkommen. Den Mezcal-Herstellern geht es für mexikanische Verhältnisse gut. Maria Sanchez, die zusammen mit ihrem Mann eine der winzigen Mezcalbrennereien führt, erklärt, der Eigentümer lasse sie in dem Gebäude umsonst wohnen, täglich bezahle er ihr und ihrem Mann zusammen 300 Pesos, fast 20 Euro.

Dafür bekommt der Hausbesitzer das Geld, das Maria Sanchez mit dem Mezcal-Verkauf einnimmt. Sie will mit keinem der Fabrikarbeiter in den Zentren des jüngsten mexikanischen Wirtschaftswunders tauschen. Die bezahlen Miete und bringen manchmal nur fünf Euro am Tag nach Hause. Seit drei Generationen stelle ihre Familie Mezcal her. Für ihre Kinder wünscht sie sich dasselbe.

Preise in einem Jahr verdoppelt

Maria Sanchez sieht nur eine einzige Bedrohung für ihren Lebensstil. Dass die Agaven unbezahlbar werden. Immer mehr Leute aus dem Norden, aus dem Bundesstaat Jalisco, kämen, um Agaven einzukaufen. In nur einem Jahr habe sich der Preis verdoppelt, von 150 auf 300 Pesos pro Stück. Die Flasche Mezcal verkauft sie zwischen 20 und 100 Pesos. Das Drittel einer Agave braucht sie etwa für eine Flasche. Das ergibt selbst im günstigsten Fall einen Gewinn von null für den Besitzer der Brennerei, der auch die Agaven bezahlt. Mit dem Lohn für sie und ihren Ehemann macht der Eigentümer Verlust. Maria Sanchez sorgt sich, wie lange sich der Eigentümer das noch leistet.

Die gesteigerte Nachfrage aus dem Norden geht auf die größer gewordene US-amerikanische Nachfrage nach Agrosprit zurück. Einige Agavenbauern im Norden sind deshalb auf Getreide umgestiegen. Jetzt importieren Tequila-Hersteller Agaven aus dem ärmeren Süden.

Aber auch vergleichsweise finanzkräftige Neuankömmlinge aus den Großstädten treiben die Agavenpreise nach oben. Bereits zwei junge Hipster-Brennereien haben sich in Santiago Matatlán angesiedelt – Los Danzantes und Milagrito. Los Danzantes unterhält ein gleichnamiges Restaurant in einem historischen Innenhof in Oaxaca de Juárez, Milagrito, die vielleicht wichtigste Mezcal-Bar in Mexiko-Stadt, La Clandestina, wo der Mezcal aus urigen gläsernen Bottichen fließt. Der Mezcal von Los Danzantes und Milagrito ist nicht unbedingt besser als derjenige der alteingesessenen Brenner, aber wirkt bisweilen weniger sperrig – und natürlich ist das Branding ausgefuchster.

Rechtschaffendes Mexiko jenseits der Gewalt

Wenn alteingesessene Mezcalbrenner wie Maria Sanchez Glück haben, wird der jüngste Hype auch ihren Mezcal teurer machen, so teuer wie Tequila. Dann würde sich der Verkauf von Agaven in den Norden für die Bauern nicht mehr lohnen und die Zukunft der Mezcalproduktion in Santiago Matatlán wäre gesichert. Das wäre auch im Sinn der neuen Hipster-Mezcaleros. Gerade für die jüngere Generation steht Mezcal für ein verlorenes, rechtschaffenes Mexiko, sowohl jenseits der Drogengewalt als auch jenseits des neuen Wirtschaftswunders. Ein Land, in dem noch die Agave, die man dem kargen Boden abtrotzt, für einen rauschhaften Abend sorgt.

San Honesto heißt eine von einer ebenfalls in Santiago Matatlán gebrannten Mezcalmarke geschaffene Heiligenfigur, die ein „Schutzpatron gegen Korruption und ein Verteidiger der Aufrichtigkeit“ sein soll und als Mezcal-Brenner erkennbar ist. San Honesto ist zwar nur ein Marketing-Gag und eher unter Exilmexikanern in New York als in Mexiko zu Hause, aber er verkörpert die Sehnsucht vieler junger Mexikaner. Und wenn es auch nur darum geht, sich gegen die Unehrlichkeit in der Welt möglichst stilvoll zu betrinken.

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