Streit über Antizionismus: Israel spaltet die Linke

Kann Antizionismus eine vertretbare linke Position sein? Über diese Frage diskutiert die Partei, seitdem Fraktionschef Gysi dies verneinte und Solidarität mit Israel einforderte.

Gregor Gysi Bild: dpa

Man kann die Geschichte mit einem Stück schwarz-weißen Stoffs beginnen lassen. Auf dem Bundeskongress der "Linksjugend", der Nachwuchsorganisation der Linkspartei, hatten Mitglieder des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom Anfang April in Leipzig einen kleinen Stand aufgebaut. BAK Shalom ist ein rund 60-köpfiger Arbeitskreis innerhalb der Linksjugend, der größte BAK der linken Jungpolitiker. Auf dem Stand lagen grüne Flyer von BAK Shalom aus, 300 insgesamt. Titel des Flugblatts: "Die Grenzen des Geschmacks oder warum dein Palituch nicht stylish sein kann". Gewarnt wurde vor dem Tragen des Palästinensertuchs, dieses immer noch modischen schwarz-weißen Schals. Es sei ein "antisemitisches Statement". Über Nacht waren die Flyer verschwunden - jemand hatte sie weggeschmissen.

Der Vorfall steht für eine Debatte, die die "Linke" insgesamt derzeit ins Mark trifft: Wie gehen wir mit Israel und dem Antizionismus um? In gleich zwei Arbeitskreisen der Fraktion wird Ende Mai darüber gestritten. Es dürfte hoch hergehen.

Auslöser der Debatte war der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi. Mitte April hatte dieser im tiefen Osten Berlins auf einer Tagung der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema "60 Jahre Israel" vor etwa 300 Zuhörern eine beachtenswerte Rede gehalten. Im tristen Verlagshaus des Neuen Deutschland las Gysi, ungewöhnlich für diesen guten Redner, 15 Seiten vom Blatt ab, jedes Wort war ihm wichtig.

Die Rede war ausdrücklich an seine Partei gerichtet. Ihr schrieb Gysi ins Stammbuch, es gebe "Klärungsbedarf" bei ihrer Haltung zu Israel. Zunächst seitenlang Clausewitz referierend, holte Gysi endlich rhetorisch zum dreifachen Punch aus. Erstens: Der Antiimperialismus könne in linken Diskursen "nicht mehr sinnvoll platziert werden". Zweitens: "Der Antizionismus kann für die Linke insgesamt, für die Partei Die Linke im Besonderen, keine vertretbare Position mehr sein." Schließlich: Es sei - auch im Hinblick auf eine mögliche Teilhabe der "Linken" in einer zukünftigen Bundesregierung - zu begrüßen, dass "Solidarität mit Israel" ein unaufgebbarer Teil der "deutschen Staatsräson" sei - ein Begriff, zu dem sich Gysi klar bekannte. Dann drückte der Fraktionschef mit offensichtlicher Lust zur Provokation noch seine "Bewunderung und Anerkennung" für Israel aus. Und sprach dem angefeindeten Nahoststaat anlässlich des 60. Jahrestags seiner Gründung zum Abschluss seine "herzlichen Glückwünsche" aus. Das saß.

Warum? Die "Linke", deren Wurzeln in der ostdeutschen Staatspartei SED und der PDS liegen, tut sich schwer mit dem Thema Israel - unter anderem wegen des staatlich verordneten Antizionismus der DDR, der zeitweise in Antisemitismus ausarten konnte. Im vergangenen Jahr hatte der Zentralrat der Juden in dieser Hinsicht die "Linke" massiv attackiert: "Das Gift hat eine neue Plattform", sagte Zentralratsvize Dieter Graumann. Dazu kam, über die Fusion mit der WASG, eine Israelkritik aus dem Westen, die spätestens seit 1968 nicht minder scharf war.

Während viele Radikale im linken Spektrum ihr Verhältnis zu Israel in den letzten Jahren revidierten, belastet das antizionistische Erbe die Linkspartei noch immer. Deshalb forderte Vizechefin Katja Kipping anlässlich verbaler Entgleisungen mancher Genossen während des Libanonkrieges Israels vor zwei Jahren in einem Positionspapier ihre Partei dazu auf, den Antizionismus aufzugeben. Das war an alle die gerichtet, die gern mit Organisationen wie der antiisraelischen Hamas oder Hisbollah sympathisieren - aus alter linker Tradition und aus antiimperialistischen Gründen. Kein Wunder, dass Kipping Gysis Rede in der taz ausdrücklich lobte.

Kippings Papier verpuffte relativ schnell, die Rede Gysis dagegen wirkt länger und explosiver. In der Partei brodelt es. Das zeigte eine Folgeveranstaltung zwei Wochen nach Gysis Auftritt an gleicher Stelle. Titel: "Eine Zukunft für Palästina". Doch die gut 100 Zuhörer aus der Parteibasis bewegte eigentlich nur eines: Gysis Rede. "Dermaßen enttäuscht", "peinlich", "unglaublich", so hörte man am Rande. Hauptredner war Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter, außenpolitischer Sprecher des Parteivorstands, Israelkritiker. Er werde, sagte er anfangs, eine neutrale Position einnehmen - er wisse, das sei "streitbar". Dann erinnerte er an das berühmte Bild des kleinen jüdischen Jungen im Warschauer Getto vor den Gewehrläufen der SS. "Das Erschreckende", so Gehrcke, seien die heutigen Bilder "von palästinensischen Jungen vor anderen Gewehrläufen".

Die Basis war dennoch enttäuscht, ja wütend. "Wir nehmen ausdrücklich keine neutrale Position ein", schimpfte einer mit hochrotem Kopf. "Du warst immer ein Mann der klaren Worte, jetzt sitzt du zwischen den Stühlen", rief ein anderer. Und ein Dritter: "Israel hat nicht mal Grenzen. Wie soll ich es da anerkennen? Das geht nicht."

Und prominentere Gysi-Kritiker? Sie trauen sich kaum in die Öffentlichkeit. Dabei scheint für manche eine Rolle zu spielen, dass Gysi selbst aus einer jüdischen Familie kommt. Die Kritiker bleiben unter sich oder spielen über Bande, etwa über den Antizionisten Werner Pirker, der in der orthodox-sozialistischen Jungen Welt seitenlang die Gysi-Rede beerdigte: "Mit seiner Forderung nach Solidarität mit Israel begibt sich Gysi in die feine Gesellschaft der Kriegstreiber. Sollte seine Position in der Linkspartei mehrheitsfähig werden, würde das auch einen dramatischen Bruch mit der bisher eingenommenen Haltung der Äquidistanz zu den nahöstlichen Konfliktparteien bedeuten." Oder: "Die Parteirechte ist nunmehr um die Herstellung einer prozionistischen Hegemonie bemüht. Dabei geht es nicht nur um Israel." Marxistische Blogs feierten die Philippika enthusiastisch.

Vor allem die trotzkistischen "Linksruck"-Kader, die geschlossen in die "Linke" eingetreten sind und sich der parteiinternen Gruppe "Marx 21" nahe fühlen, schäumen über Gysis Rede - allerdings hinter verschlossenen Türen. Wer etwa die "Marx 21"-Unterstützerin Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der "Linken", auf die Gysi-Rede anspricht, hört, man sei übereingekommen, eine Position erst innerparteilich zu klären. Diese Sprachregelung wirkt bis weit nach unten. So sagt auch Irmgard Wurdack, Sprecherin der Partei in Berlin-Neukölln, ein vereinbartes Interview ab - die dortige Organisation ist fest in den Händen von "Marx 21".

Immerhin hat Wurdack Ende April Norman Paech, den außenpolitischen Sprecher der "Linke"-Fraktion im Bundestag, einen "politischen Reisebericht" zu Palästina vortragen lassen. Dabei verharmloste Paech, der seit Jahren dafür eintritt, mit Hamas zu verhandeln, nach Augenzeugenberichten von BAK-Shalom-Mitgliedern die Raketenangriffe dieser Terrororganisation auf Israel als "Neujahrsraketen".

Der Völkerrechtler, der sich seit Jahren mit scharfer Israelkritik profiliert, erscheint im Vergleich zu anderen Genossen sogar noch vorsichtig: Viel Applaus erhielt etwa ein Zuhörer nach seiner Bemerkung, er könne nicht verstehen, dass Paech sich für das Existenzrecht Israels ausspreche. In der taz hatte Paech 2006 gesagt, Israel betreibe einen "unzulässigen Vernichtungskrieg gegen Milizen und Bevölkerung im Libanon". Für ein aktuelles Interview aber hatte er keine Zeit.

Auch Oskar Lafontaine will nichts über die Rede seines Kollegen sagen. Offensiver ist Gysis Fraktionskollegin Ulla Jelpke, die der taz mitteilte: "Ich halte es für legitim, gegen Zionismus zu sein." Im Jahr 2006 hatte Jelpke bei einer antiisraelischen Demo vor Hisbollah-Fahnen zu Israels Libanonkrieg gesagt: "Wer angesichts dieser Massaker und angesichts dieser sinnlosen Zerstörungswut noch einen Hauch von Verständnis für die israelische Politik aufbringt, macht sich zum Mittäter, zum Komplizen von Mord und Terror."

Es ist klar, an der Causa Israel scheiden sich in der "Linken" die Geister. Während Gehrke die Rede von Fraktionschef Gysis kaum kritisierte, sind andere Israelskeptiker in der Fraktion wie etwa Heike Hänsel einfach abgetaucht und reagieren auf Interview-Anfragen nicht. "Die sind alle klug genug, den Mund zu halten", sagt eine intime Kennerin der "Linken" im Bundestag.

Pau lobt Gysi

Lob für Gysi kam von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau: Auf einer Veranstaltung von BAK Shalom lobte sie: Gysi habe die Latte in der Auseinandersetzung um Israel mit seiner Rede sehr hoch gelegt. Die Debatte in der Fraktion habe begonnen: "Jetzt werden wir sehen." Und mit Spitzen offenbar gegen Jelpke und Paech bemerkte Pau: Auf Demonstrationen, bei denen Israelfahnen verbrannt und antisemitische Parolen gerufen würden, habe kein "Linke"-Mitglied etwas zu suchen - auch die Rede von einem "Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser verbiete sich.

Immerhin, Max Steininger, einer der Bundessprecher der "Linksjugend", wagt sich aus der Deckung. Er erwog infolge der Gründung von BAK Shalom die Gegengründung eines BAKs Freies Palästina - verwarf dies aber. Er betont: "Ich kann durchaus als Linker ein Antizionist sein, wie ja auch viele Juden die zionistische Logik ablehnen." Und: "Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Gysi die ,Linke' an die Staatsräson binden will. Staatsräson ist nur ein anderer Ausdruck für die außenpolitischen Interessen der herrschenden Klasse." Der 27-jährige Politikstudent dreht Gysi von den Füßen auf den Kopf: "Ich meine, das Problem in dieser Debatte ist die Tabuisierung der Unterdrückung der Palästinenser."

Das zeigt: Die "Linksjugend" streitet derzeit über Gysis Antiantizionismus offener als der Rest der Partei - und welcher Flügel dabei siegt, könnte an Norman Paech zu erkennen sein. Die Bundessprecher von BAK Shalom, Benjamin Krüger und Christin Löchner, fordern wegen dessen "ungehemmter Verbrüderung mit der terroristischen Hamas und antizionistischen Ressentiments" seinen Rücktritt: "Norman Paech ist als außenpolitischer Sprecher der ,Linken' untragbar geworden." Steininger nennt das schlicht "Blödsinn" von "einigen wenigen Randfiguren im Verband". Der BundessprecherInnenrat der Linksjugend warnte die Mitglieder, die Erklärung von BAK Shalom vertrete nicht die Position des Verbandes. Die "Linke" steht vor einem heißen Sommer.

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