Kommentar Massengräber in Mexiko: Freihandel geht über Leichen

Die Justiz versagt, die Angehörigen selbst haben ihre ermordeten Familienmitglieder gefunden. Die EU tut weiter so, als sei Mexiko ein Rechtsstaat.

Demonstranten haben sich mit roter Farbe bemalt

Seit zehn Monaten sind die 43 Studenten aus Ayotzinapa verschwunden – eine Demonstration erinnert daran. Foto: dpa

Schon die Meldung selbst führt auf die falsche Spur: Bei der Suche der im letzten September im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero verschwundenen Studenten habe man inzwischen 129 Leichen in 60 Massengräbern gefunden, informierte am Sonntag die Generalstaatsanwaltschaft (PGR) des Landes.

Es sind jedoch nicht die Strafverfolger, die diesen fragwürdigen Erfolg für sich verbuchen können. Die Angehörigen von Verschwundenen selbst waren es, die zunächst durch die Berge zogen und sich Quadratmeter für Quadratmeter durch das dornige Gebüsch kämpften, um nach ihren verscharrten Brüdern oder Söhnen zu suchen.

Hätten sie sich auf die Ermittler verlassen, wäre bis heute kein einziges Grab entdeckt worden. Im Gegenteil: Viele, die sich seit letzten Herbst rund um die Stadt Iguala auf die Suche machten, vermissen ihre Angehörigen schon seit Jahren.

Motiviert durch die internationale Öffentlichkeit, für die das Verschwinden der 43 Studenten in Iguala sorgte, ergriffen sie die Initiative. Zuvor waren sie von Behörde zu Behörde gezogen, waren bei der örtlichen Staatsanwaltschaft und der PGR in Mexiko-Stadt. Doch kein Beamter hatte sie ernst genommen, neben dem Desinteresse mussten sie oft noch Demütigungen ertragen.

Kein Beamter hat die Angehörigen ernst genommen, neben dem Desinteresse mussten sie oft noch Demütigungen ertragen

25.000 Verschwundene

129 Leichen lagen so teilweise jahrelang in den Bergen rund um Iguala, ohne dass sich ein Strafverfolger um sie gekümmert hätte. Und auch sie stellen nur den Bruchteil jener mindestens 25.000 Menschen dar, die in Mexiko als verschwunden gelten.

Unter den gefundenen Leichen befindet sich keiner der 43 jungen Männer, die am 26. September von Polizisten festgenommen und dann Kriminellen übergeben wurden. Bis heute können die Behörden nicht erklären, was mit den Lehramtsanwärtern passiert ist.

Dennoch wollte die PGR die Ermittlungen bereits im Januar für beendet erklären, und wieder war es nur der starke – auch internationale Druck – der die obersten Strafverfolger dazu zwang, den Fall nicht ad acta zu legen.

Dass die Regierung bemüht ist, den Angriff möglichst schnell in Vergessenheit geraten zu lassen, ist naheliegend. Schließlich hat er die korrupten und gewalttätigen Verhältnisse Mexikos ungeschönt offengelegt, während Präsident Enrique Peña Nieto auf der diplomatischen Bühne ein sicheres Investitionsland anpreist.

Beziehungen auf Eis!

Und das auch noch mit Erfolg: Erst jüngst verkündete die EU, man werde den Freihandelsvertrag mit Mexiko modernisieren und die Zusammenarbeit intensivieren. Von der Einhaltung der Menschenrechte, die laut Vertrag die Grundlage für die seit dem Jahr 2000 bestehende Kooperation bildet, war nicht die Rede.

Das Gegenteil wäre nötig: Solange täglich Menschen mit Duldung von lokalen, regionalen oder auch föderalen Regierungen verschwinden oder gefoltert und getötet werden, müsste die Zusammenarbeit mit Mexiko auf Eis gelegt werden.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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