Die Wurstschnitte

OPER Benedikt von Peter hat an der Deutschen Oper Berlin Verdis „Aida“ neu inszeniert. Herausgekommen ist Fahrstuhlmusik und eine Beziehungskiste in der WG. Die spannenden Themen aber werden verpasst

Tatiana Serjan als Aida, Alfred Kim als Radames, dahinter das Orchester Foto: Marcus Lieberenz

von Niklaus Hablützel

Es ist wie früher, als die große Deutsche Oper vor der Abwicklung stand. In Verdis „Aida“ beginnen die Violinen alleine und sehr leise. Hier schaffen sie es, schon den ersten Ton zu verwackeln. Andrea Battistoni, der Dirigent, schlägt wie wild den Takt, aber das interessiert niemanden. Man spielt halt so vor sich hin, nicht immer so schlecht, aber niemals wirklich gut, mit Leidenschaft und Verständnis für das Werk.

Andrea Battistoni ist noch sehr jung, hat schon in aller Welt dirigiert, und kümmert sich vor allem um sein Outfit. Noch kann er sich nicht so recht zwischen Simon Rattle und Michael Jackson entscheiden. Mag sein, dass es den Damen und Herren des Orchesters deswegen schwer fiel, ihn ernst zu nehmen. Unglücklicherweise dürfen sie dieses Mal nicht schamhaft im Graben verschwinden. Sie sitzen auf der Bühne, nur von einem dünnen Gazevorhang verschleiert. So kann man sogar sehen, wie alles schiefläuft: Die zappelnde Parodie eines Pultstars vorne, dahinter Tiefschlaf vor den Notenblättern.

Auch Benedikt von Peter ist noch recht jung, hat viel in Bremen gearbeitet und auch an der Komischen Oper in Berlin mit drei Inszenierungen gezeigt, dass er kreative Ideen hat. Für Verdis „Aida“ hat er die Oper an der Bismarckstraße gleich ganz geschlossen. Natürlich nicht an der Kasse, aber dahinter. Es gibt keine Bühne und keinen Saal mehr.

Drama stillgestellt

Das Drama um die äthiopische Prinzessin, den ägyptischen Kriegshelden und die Pharaonentochter ist stillgestellt und ersetzt durch die Installation eines einheitlichen Klangraums. Hinten, aber nicht nur dort, auf der ehemaligen Bühne, spielen Instrumente, auf einer Spielfläche der Mitte über dem ehemaligen Orchestergraben und über einigen Plätzen im Parkett singen ein Tenor (Alfred Kim) und zwei Soprane (Anna Smirnova und Tatiana Serjan), zwischen den Sitzplätzen für das Publikum verteilt sitzt der Chor und von den obersten Rängen herunter erklingen unsichtbar die Männerstimmen von Priestern und Königen (unter anderen Simon Lim, Ante Jerkunica und Markus Brück).

Das räumliche Arrangement der Klangquellen ist interessant, vor allem Verdis gewaltige Chornummern werden zum körperlichen Erlebnis. Aber nichts bleibt haften, obwohl alles nur zu gut bekannt ist. Hier tauchen sie auf – der berüchtigte Triumph­marsch, die großen Parade­arien – gehen vorbei und sind verschwunden. Verdi ist Muzak im Fahrstuhl.

Das liegt nicht nur an dem lächerlichen Dirigenten. Der statische Klangraum erzwingt eine ebenfalls statische Reduktion des Stücks auf ein einziges Element, das räumlich definiert werden kann. Bei von Peter ist es die Dreiecksgeschichte von Aida, Radames und Amneris. Sie spielt am Esstisch einer WG, wahrscheinlich in Charlottenburg, jedenfalls heute. Auf dem Tisch liegen alte Reisebücher, eine Karte, aber auch der Berliner Tagesspiegel (Medienpartner der Deutschen Oper). Ziemlich einfallslos ist die Aufsicht des Tisches auf einer darüber hängenden Leinwand zu sehen.

Aber nichts bleibt haften, obwohl alles nur zu gut bekannt ist

Was nun? Benedikt von Peter hätte ein Kammerspiel inszenieren müssen, das es bei Verdi nicht gibt. Es hat es trotzdem versucht, aber es ist zum Einschlafen langweilig. Wer trägt heute den Müll runter? Höhepunkt des Abends ist die Wurstschnitte, mit der Amneris ihren geliebten Radames verführen möchte. Nur sieht der halt in seinem braven Pullöverchen und mit Hornbrille auf der Nase ziemlich vegan aus. Er singt auch so, und knutscht dabei ein Hochzeitskleid für die viel schönere Aida, die tatsächlich auch schöner singt als Amneris in ihrem blauen Arbeitskittel.

Mit einer der größten Arien der gesamten Opernliteratur überredet Aida bekanntlich den Krieger Radames zur Flucht in ein Land ohne Krieg. Und am Ende steht Amneris Fluch gegen die Priester ihres Stammes, denen sie allein die Schuld auch an ihrem eigenen Elend gibt. Sie beschreibt sie etwa so, wie man es heute in jedem Zeitungskommentar lesen kann: als religiöse Terroristen.

Das sind seit jeher die Themen dieser Oper. In der Welt von Benedikt von Peter haben sie keinen Platz. Die Zeitung auf dem Esstisch seiner WG für BWL-Studenten zeigt Pressefotos von Flüchtlingslagern und Luftangriffen über der Wüste. Aber wir lesen keine Zeitung, wir schmieren Wurstbrote. Nur zur Erinnerung: Die Krise der Deutschen Oper bestand nie darin, dass sie zu teuer war. Sie war zu schlecht. Berlin kann sich ohne Weiteres drei Opern leisten. Nicht leisten kann es sich nur ein Provinztheater wie dieses.

Nächste Aufführungen: 25., 28. 11, 3., 6., 10. 12. 2015