Feuilleton Peter Handkes neues Buch versammelt Begleitschreiben zu Autoren und Büchern und liefert wie nebenbei Fragmente einer eigenen Poetik
: Essays für den „ernsten“ Leser

Der junge Shootingstar Handke im Jahr 1965. Der neue Band enthält auch Kritiken, die er in der Zeit fürs Radio geschrieben hat Foto: O. Braicha/ullstein bild

von Tobias Schwartz

Wenn Schriftsteller über Schriftsteller schreiben, ist mindestens erhöhte Auf­merksamkeit geboten. Zwar bringen sie in dieser Hinsicht von Zeit zu Zeit durchaus Wissenswertes oder auch Wichtiges zu Papier, aber der Subjektivitätsfaktor erscheint meist drastisch erhöht, und in vielen Fällen beschleicht den Leser das Gefühl, hier rede einer weniger über sein jeweiliges Sujet als über sich selbst, über sein eigenes Leben und Schreiben – oder sein Verhältnis zum Leben und Schreiben. Vielleicht ist das ja der einzige Punkt, in dem sich Peter Handke mit Thomas Mann vergleichen lässt, den er bekanntlich wenig schätzt.

„Tage und Werke“ lautet der Titel von Handkes neuem Essayband, der als Supplement zu seiner Biografie und seinem schriftstellerischen Werdegang gelesen werden kann, auch wenn darin keine chronologische Ordnung herrscht. Es handelt sich um eine bunte Kompilation, die Altes, halb Vergessenes enthält, verstreut in Zeitungen oder als Vor- respektive Nachwort in Büchern Gedrucktes, das hier nun leicht zugänglich wird, Bekanntes, noch recht Frisches, aber auch Neues, bislang Unveröffentlichtes. Vorangestellt ist dem Band (“statt eines Vorworts“) eine Szene, die dem Autor auf dem Weg nach Hause, im Pariser Vorortzug Richtung Versailles, widerfahren ist – ob wahr oder erfunden ändert nichts an ihrem Gehalt. Sie handelt von der Begegnung mit Lesern, die „ernste“ Bücher lesen. Der ohnehin oft hohe Handke-Ton entrückt dabei ins Biblische: „Und sie lasen ein jeder ein Buch, und es war das jeweils ein ernstes Buch – es war, Schönheit der Bücher wie der drei Leser, offenbar die alte, die ernste, die ewig neue Literatur. Und es wurde so im Waggon Raum, wie selten ein Raum …“

Keine Angst, dieser bekenntnishaft salbungsvolle Und-es-ward-Licht-Ton herrscht nicht weiter vor. Die hier versammelten „Begleitschreiben zu Autoren und ihren Büchern“ enthalten Teile seines Lebens und Bruchstücke einer Poetik, explizit und ex negativo. Naturgemäß tun sie das, ließe sich mit Thomas Bernhard bekräftigen, Handkes einstigem Konkurrenten, dem er in Sachen Kollegen-Bashing-Tiraden durchaus das Wasser reichen kann. Uwe Tellkamp („Geschwafel“) bekommt sein Fett so heftig weg wie Herta Müller (“gefahrlose Mache“). Tendenziell Zärtliches hat er dagegen für Friederike Mayröcker, Hermann Lenz oder den Amerikaner John Cheever übrig. Der große Suhrkamp-Barlach-Streit kommt genauso zur Sprache wie das Handke-Milošević-Jugoslawien-Konvolut oder, wenn auch nur kurz, US-Präsident Barack Obama, was das eigentlich buchorientierte Themenspektrum enorm erweitert, wenn nicht sprengt.

„Tage und Werke“ eignet sich hervorragend zur Lektüre in einem Kaffeehaus – oder in einem Vorortzug. Einiges liest man nur kursorisch, überfliegt die Texte, die man erst kürzlich gelesen zu haben glaubt, im Spiegel, in der Zeit oder der FAZ. Woanders bleibt man stecken, liest Worte und Sätze, die nachhallen. Denn Handke ist es tatsächlich ernst, von Anfang an und in einem ganz emphatischen Sinn.

Abgedruckt sind zum Beispiel Sammelbesprechungen des „Lone­some Cowboy von Graz“ (Malte Herwig), die Radio Steiermark von 1964 bis 1966 in der Literatursendung „Bücher­ecke“ ausgestrahlt hat. Der junge Shootingstar der damaligen Literaturszene gibt dort zunächst den Kritiker, der sich durch die Verlagsprogramme liest – Klassisches, Zeitgenössisches und Philosophisches –, der siebt und wertet. Das tut er urteilskräftig, teilweise gnadenlos und im besten, unterhaltsamsten Sinne anmaßend. Nebenbei kommt er auf Werbung, Fußball, James Bond und andere popkulturelle Themen zu sprechen – heute an sich nichts Besonderes, in den 60ern allerdings alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Handke wäre nicht Handke, wenn nicht am Ende auch das Kritisieren Kritik erfahren würde.

Aber es geht um noch mehr, es geht ihm um die Würde des Schreibenden, um schreibendes Ringen, um poetische Vorstellungen und die finden sich – in den Büchereckentexten wie auch den anderen – nicht nur zwischen den Zeilen. In der hier wieder abgedruckten Dankesrede zum Ibsen-Preis, bei dessen Verleihung es 2014 zum Eklat kam (der kontroverse Österreicher wurde in Oslo aufgrund seiner proserbischen Haltung als Faschist beschimpft), revidiert Handke nicht nur seine Meinung über den norwegischen Dramatiker und spricht ihn von dem einst gehegten Verdacht frei, Ahnherr heutiger Fernsehspiele zu sein, nein, er bekennt auch eine Themenlosigkeit seines Schreibens, wie er sie schon in „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ bekannt hat.

Sein einziges Thema sei ein schreibendes „Klarwerden über mich selber“ und das in Verbindung mit einem nur scheinbar widersprüchlichen „Unklarwerden, einem satz- und absatzweise gezielten Verunklaren, einem Weit- und Weiterwerden“, bei dem es sich, wie zuletzt in der Erzählung „Der große Fall“ oder dem in seiner politischen Enthaltsamkeit geradezu brisant politischen „Versuch über den Pilznarren“, immer auch um eine schreibende Befreiung, ein „Freisprechen“ handelt.

Diesem Freisprechen und dem beschworenen Ernst nachzuspüren ist für den „ernsten Leser“ eine Wohltat. Oder sagen wir es mit Handke: „Es gibt noch Bücher zu lesen jenseits der Zeitungen …“

Peter Hand­ke: „Tage und Werke. Begleitschreiben zu Büchern und Autoren“. Suhrkamp, Berlin 2015, 287 S., 22,95 Euro