Überkommene Altväterlichkeit

Ausstellung Die alten Väter verschleiern und neue suchen: Um Vaterfiguren in der Gesellschaft und Kunst geht es in „Father Figures Are Hard To Find“ – eine Schau der NGBK in Kreuzberg

Maskenspiel mit Motiven aus der schwulen Subkultur: Rotimi Fani-Kayode: „Nothing to Lose IX (Bodies of Experience)“, 1987 Foto: Fani Kayode, Courtesy of Autograph ABP

von Inga Barthels

Was heißt es heutzutage, Vater zu sein? Wer kann zur Vaterfigur werden, wem bleibt das verwehrt? Welche Formen der Väterlichkeit sind heute noch relevant? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Gruppenausstellung „Father Figures Are Hard To Find“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Kreuzberg.

Die Lyrics von George Mi­chaels „Father Figure“ sind gleich am Eingang zu hören: „I will be your father figure“, singt er, „I will be the one who loves you – till the end of time.“ Der Song war 1988 ein Hit, damals hatte sich der Sänger noch nicht geoutet. Zwei Jahre später sorgte das Buch „Families We Choose“ der Anthropologin Kath Weston für Aufruhr. Sie beschreibt, wie sich Schwule und Lesben in den USA selbst neue Familien schaffen, die nichts mit ihren genetischen Familien zu tun haben. Neue Formen der Verwandtschaft jenseits der Biologie und traditioneller Familienbande, das ist eines der Themen der Ausstellung.

Doch es geht auch um biologische Väter. Explizit mit der Vaterfigur setzt sich Konrad Mühe in seinem Kurzfilm „Fragen an meinen Vater“ auseinander. Es geht um einen berühmten Vater, den Schauspieler Ulrich Mühe, der 2007 an Krebs starb. Mühe verwendet Filmausschnitte, in denen sein Vater in verschiedenen Rollen spricht. Konrad Mühe selbst kommt im Film nicht zu Wort, und doch wirkt der Film wie ein Gespräch, das Unsicherheit, Verbitterung, Versöhnung zwischen Vater und Sohn thematisiert. Dabei werden Vorwürfe an den Vater laut, Selbstzweifel, ob der öffentliche Umgang mit den Gefühlen der richtige Weg ist, und Resignation, dass das Verhältnis nie perfekt sein wird. „Es ist etwas zwischen dir und mir, was uns trennt, ich weiß ihm keinen Namen“, sagt Ulrich Mühe in einer der Szenen. Der Film ist ein bewegender Einblick in eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung.

Die Ausstellung ruft das Ende des klassischen, weißen, heterosexuellen Patriarchen aus

Symbolische Väter

Auch mit Vätern im weiteren Sinne – Vater Staat und Vater Religion – beschäftigt sich die Ausstellung. Der in Polen geborene Künstler Przemek Pyszczek empfindet in seinen quietschbunten „Facade Paintings“ die Fassaden der Plattenbausiedlungen in Warschau nach, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit Farben und Grafiken bemalt wurden, die den wirtschaftlichen Aufstieg symbolisieren sollten. Michaela Meise zeigt zwei Skulpturen aus ihrer Reihe „Mare Nostrum“ – benannt nach der italienischen Rettungsaktion von Geflüchteten aus Seenot. Die Skulpturen stellen die ersten ChristInnen dar, die in einem Boot von Palästina nach Europa kamen und sich hier ansiedelten. Christliche Religion als Ausgangspunkt für Nächstenliebe, nicht als Abschottungsgrund gegen alles Fremde.

Sinnbildlich für die Ausstellung ist das Werk der israelischen Künstlerin Naama Arad. Ihre Installation zeigt die Präsidentenköpfe des Mount Rushmore in den USA, monumentales Denkmal männlicher Herrschaft. Doch die Sicht auf das Motiv ist verschleiert, gebrochen durch einen seidenen Vorhang. Die Ausstellung ruft das Ende des klassischen, weißen, heterosexuellen Patriarchen aus.

Die KuratorInnen lassen auch Künstler zu Wort kommen, die sie als alternative Vaterfiguren der Kunst ansehen. So sind erstmals fünf Zeichnungen des 1991 an Aids gestorbenen Schriftstellers Ronald M. Schernikau zu sehen, der in seiner 1980 erschienenen „Kleinstadtnovelle“ das Leben eines offen schwulen Teenagers in seiner Heimatstadt Lehrte beschrieb. Später ging er als einziger Westdeutscher an das Literaturinstitut in Leipzig. Die ausgestellten Werke greifen Zeitungsbilder auf, denen Schernikau einen homoerotischen Unterton verleiht.

Monumentalisierte Männer hinter dem Vorhang: die Mount-Rushmore-Fotoverschleierung von Naama Arad in der Vaterfiguren-Schau Foto: Barak Zemer

Rotimi Fani-Kayode ist ein anderer, der es nie ganz in den Kanon der Kunstgeschichte geschafft hat – zu schwarz, zu schwul, zu unangepasst. Fani-Kayode wurde in Nigeria in eine mächtige Yorubafamilie geboren. 1966 kam er als elfjähriger Kriegsflüchtling in England an. Als er sein Coming-out hatte, wurde er von der Familie verstoßen. Neben seiner künstlerischen Arbeit als Fotograf engagierte sich Fani-Kayode bis zu seinem Tod 1989 gegen Aids.

In seinen Fotografien beschäftigt sich Fani-Kayode mit dem Exil und mit den Widersprüchen seiner Kultur und seiner Sexualität. Traditionelle afrikanische Gewänder und Masken bringt er zusammen mit Motiven aus der schwulen Subkultur. Rotimi Fani-Kayodes beeindruckende Fotografien und seine Lebensgeschichte zeigen, dass es Zeit wird für neue Vaterfiguren – nicht nur in der Kunst.

NGBK: „Father Figures Are Hard To Find“. Bis 30. April, täglich 12–19 Uhr, Mi.–Fr. bis 20 Uhr, Oranienstraße 25. Begleitprogramm unter ngbk.de