Kommentar Weltsozialforum in Montreal: Richtige Idee, falscher Ort

Für AktivistInnen aus armen Ländern bleibt das Weltsozialforum auch im digitalen Zeitalter wichtig. Kanada war aber eine schlechte Ortswahl.

Menschen tragen ein Banner durch die Straßen einer Stadt

Protest anlässlich der Eröffnung des Forums in Montreal Foto: Forum Social Mondial

Druck zu machen ist hierzulande manchmal leicht: Ein klug gesetzter Twitter-Hashtag, #aufschrei etwa, kann genügen, um ein Thema bis ins Bundestagsplenum zu pushen. Doch die Vorstellung, zum politischen Aktivismus brauche es nichts weiter als ein Smartphone, ist vollständig in der Lebenswelt von Metropolen verhaftet.

In armen Ländern und ländlichen Räumen hingegen ist politische Organisation oft noch Handarbeit. Nicht alle AktivistInnen dort können lesen, längst nicht überall spielt das Internet dieselbe Rolle wie bei uns. Nicht von ungefähr sind es Kleinbauernorganisationen wie La Via Campesina,die das gerade erstmals in Montreal stattfindende Weltsozialforum mit Leben füllen.

Das sollten diejenigen bedenken, die Mal um Mal Grabreden auf die vermeintlich überkommenen Foren halten. Denn die direkte Begegnung ist der einzige Weg, um soziale Bewegungen aus dem Süden und dem Norden der Welt wirklich miteinander in Berührung kommen zu lassen. Bis heute gibt es kaum einen anderen Ort, an dem so etwas wie eine globale Zivilgesellschaft aufblitzt, die sich nicht auf Klicks auf Kampagnenwebseiten beschränkt.

Es war ein mühsamer Prozess, die Lateinamerika-Fixiertheit zu überwinden

Dass dieses Mal 50.000 Menschen nach Montreal kamen und damit weit weniger als zur Hoch-Zeit der Foren in Brasilien, spricht nicht gegen die Idee des Weltsozialforums. Es wirft eher die Frage auf, ob es eine gute Idee war, das Treffen nach Kanada und damit erstmals in einen G-8-Staat zu verlegen. Tatsächlich war es ein mühsamer, aber notwendiger Prozess, die Lateinamerika-Fixiertheit der Zusammenkünfte zu überwinden.

Doch nicht nur all jene, denen die als so liberal gelobte kanadische Regierung das Visum verweigerte, konnten nicht nach Montreal kommen. Für viele AktivistInnen aus dem globalen Süden dürften schon die Kosten einer Kanada-Reise eine Teilnahme ausgeschlossen haben. Und so sind dem Forum nun genau jene globalen Ungleichheiten eingeschrieben, die zu überwinden es antritt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.