Von Perus Musikern lernen: Es geht immer um Beziehungen

Ein Dubstep-Pionier aus London und Musiker aus Peru: Auf den respektvollen Umgang in der Musik setzt Mala mit seinem neuem Album „Mirrors“.

Mala in einer nächtlichen Straße.

Es ging Mala in Peru darum, zu hören, was die MusikerInnen gerne spielen Foto: Deep Medi Music

Schlagzeilen streiten in Newsfeeds um Aufmerksamkeit. Berühmte Menschen genauso wie Nobodys präsentieren ihre Meinungen kurz und nicht selten emotional in wenigen Zeichen in sozialen Netzwerken oder Kommentarspalten.

Der Brite Mark Lawrence, der unter dem Namen Mala elektronische Musik produziert und Platten auflegt, hält sich zurück. Auf seinen Profilen finden sich zwar Posts zu Musik – der 36-jährige Dub­step-Pionier aus dem Südosten von London hat vor Kurzem sein neues Album „Mirrors“ herausgebracht – Einblicke in sein Privatleben oder Meinungen zu Politik bleiben aber aus.

Zum Brexit-Referendum, zu dem einige seiner britischen KollegInnen öffentlich Stellung bezogen, äußerte er sich nicht. Was nicht bedeutet, dass er keine Meinung hat, wie er im Interview sagt. Ihm dominieren aber zu sehr Schlagzeilen und oberflächliche Statements. „Es sollte mehr Diskussionen geben und weniger Headlines. Gespräche bringen für alle mehr, in allen Teilen des Lebens“, meint er. „Und im Leben geht es in mancher Hinsicht immer um Beziehungen, darum, wie man sie führt und pflegt. Auch die zu sich selbst.“

Beziehungen waren auch bei der Entstehung seiner Alben ausschlaggebend. „Mala in Cuba“ von 2012 und „Mirrors“ entstanden zum einen auf Initiative des BBC-Radio-Moderators Gilles Peterson, auf dessen Label Brownswood die Werke erschienen sind. Zum anderen kommen viele ihrer Klänge von anderen MusikerInnen. Diese hat Mala nicht aus dem Internet-Instant-Archiv gezogen, das heute Musiken aus vielen Regionen der Welt bereithält. Stattdessen hatte er die Chance, nach Kuba und Peru zu fliegen und MusikerInnen direkt aufzunehmen.

Mala: „Mirrors“ (Brownswood/Rough Trade)

Aufgewachsen im Viertel Norwood im Südosten von London, begeisterte sich Mala in den 1990ern für Jungle, einen Hybrid aus Sound-System-Kultur und UK Rave, der rasende Breakbeats mit langsam rollenden Bassläufen aus Reggae verband. Als UK Garage das Verlangen nach sanfteren Klängen auf den Partys von London stillte, erlebte er als Produzent, wie das Genre nach einem kurzen Hype verpuffte und sich in andere Richtungen entwickelte. Eine davon sollte später den Namen Dubstep bekommen, eine ihrer Schlüsselfiguren: Mala.

Schnelligkeit und Langsamkeit simultan

Tiefe, quirlige Bässe treffen in seinen düsteren und vielfältigen Tracks auf trocken-präzise Snare-Schläge und Reminiszenzen an Reggae und Dub in Form von Samples oder Echo- und Halleffekten. Locker erzeugt er das schwebende Gefühl der Ambivalenz von Schnelligkeit und Langsamkeit mithilfe von Percussion und Beats, die verschiedene Rhythmen aufbauen, mal kraftvollen One Drop, mal eine 4/4-Kick. Seine Musik ist größtenteils auf den Labels DMZ und Deep Medi erschienen, deren (Mit-)Inhaber er ist. Mala sieht sich als fiercely independent“, entschlossen unabhängig.

Er bindet auf dem Album afroperuanisch geprägte Percussion, Gitarrenklänge und Field-Recordings zu elektronischen ­Kompositionen zusammen

Bei der Arbeit an „Mirrors“ hat er diese Unabhängigkeit ein Stück aufgegeben. „Ich wollte mich bei den Aufnahmen, so weit es geht, zurücknehmen, weil ich lernen wollte, was peruanisch, was authentisch ist“, erklärt Mala. „Nach Peru zu fliegen und den Leuten dort zu sagen, was sie spielen sollen, macht überhaupt keinen Sinn! Es ging mir darum, das zu hören, was sie gerne spielen möchten, was sie vielleicht seit Jahren spielen.“

So nimmt der Titel „Mirrors“ den Produzenten aus dem Fokus und rückt die Reflexion in den Mittelpunkt. Die Reflexion darüber, was peruanisch klingen kann, nicht die Behauptung, was peruanisch klingt. Indem auch das geografische Label Peru im Vergleich zu „Mala in Cuba“ wegfällt, wird die Musik entortet, findet sie ihr Utopia zwischen den Spiegeln.

Etwas Drittes konstruieren

Glaubwürdigkeit ist in diesem Sinn keine klischeehafte Vorstellung von einem Original, sondern steht für den Ausdruck der MusikerInnen, der sie und damit auch ein Stück von Peru ausmacht. Dazu passt Malas Ansatz, die Aufnahmen wie Samples zu behandeln, sie mit seinen eigenen Ausdrucksmitteln zu verflechten und damit etwas Drittes zu konstruieren. Es geht nicht um rassistischen Exotismus-Kitsch als verkaufssteigernder Faktor für die ‚Weltmusik‘-Regale Westeuropas.

Mala war dreimal in Peru: In Lima, Cusco und am Machu Picchu traf er Menschen, erklärte, was er mit ihrer Musik anstellen möchte. „Es war viel leichter für mich, den Leuten persönlich zu erklären, dass ich von ihnen lernen und sie auf keinen Fall ausnutzen möchte. Ich habe nicht gewusst, ob sie vielleicht solche Erfahrungen gemacht haben. Viele der Menschen, die ich in Kuba getroffen habe, hatten genug von Leuten, die zu ihnen kommen, Musik aufnehmen und sie nutzen, ihnen aber nichts zurückgeben. Für mich ist es wichtig, ihnen Anerkennung zu geben.“

Das Album eröffnet mit einer Melodie von Sikus, einer Panflöten-Art, die Mala auseinander nimmt und im Takt hopsender dumpfer Elektronik-Drums variiert. Über einer unheimlichen Synthesizerfläche geraten sie in eine Hallschlaufe, von bissigen Offbeat-Rimshots angeschubst. Der Track „Kotos“ ist ein Beispiel für die Fusionsleistung, die Mala geleistet hat.

Durchweg bindet er auf dem Album afroperuanisch geprägte Percussion, Gitarrenklänge und Field-Recordings zu elektronischen Kompositionen zusammen. Es gibt auch Stücke, bei denen er seine Beatkonstruktionen komplett ausspart, wie bei dem melancholischen Ohrwurm „Sound of the River“, gesungen von Sylvia Falcón. Es ist ein Traditional, das als „Mayu Sonido“ bekannt ist und in anderen Versionen von enthusiastisch-extrovertiertem Gitarrenspiel begleitet wird. Mala gibt dem Stück einen neuen Charakter, wieder durch den Einsatz von Flöten, die in einzelnen Tönen sanft vorantreiben.

Aufmerksamkeit weiterreichen

Der Produzent nimmt sich Freiheiten in der Bearbeitung der Aufnahmen, rekontextualisiert Teile, baut etwas an oder spart aus. Auf seiner Facebook-Seite teilte Mala vor kurzem Hinweise zu MusikerInnen, die an „Mirrors“ beteiligt sind und brachte ihnen damit Aufmerksamkeit entgegen. Dafür reichen die wenigen Zeichen aus, im Gegensatz zu Politik. Dabei geht es bei Musik und Politik gleichermaßen um einen respektvollen Umgang miteinander. Auch wenn Mala sich mit Statements in der Öffentlichkeit zurückhält, seine Musik und Arbeit als DJ und Label­inhaber machen diese Botschaft stark.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.