Die weibliche Ehre der Familie

Aktivismus Das „Censored Women Film Festival“ fand jetzt in Berlin statt

2013 veröffentlichte die US-amerikanische Filmemacherin Paula Kweskin 2013 ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „Honor ­Diaries“, in dem sie sich mit den Rechten von Frauen in Gesellschaften, in denen ein strenger Ehrenkodex gilt, beschäftigte. In Teilen des Mittleren Ostens und auf einigen US-Universitäten wurden Versuche unternommen, die Vorführung des Films zu verhindern, weil der Film islamophobe Stereotypen verbreite. Für Kweskin stellte dies nur den Versuch dar, die Stimmen jener Frauen verstummen zu lassen, die sich gegen die Verletzung ihrer Rechte aussprachen. Sie hatte für ihren Film die Arbeit von neun Aktivistinnen begleitet.

Als Reaktion gründete Kweskin das „Censored Women Film Festival“, das „die überzeugendsten Filme auswählt, die Probleme von zum Verstummen gebrachten Frauen aufzeigen und mit dieser Veranstaltung jenen eine Stimme gibt, die keine haben“. In seinem zweiten Jahr kam das Festival in Zusammenarbeit mit Bild am Montag nach Berlin.

Im Rahmen der ganztätigen Veranstaltung wurde eine Auswahl von Filmen gezeigt, die sich mit dem Begriff „Ehre“ und seinen Folgen befassen, von weiblicher Genitalverstümmelung bis Zwangsehe und der Unterdrückung von Künstlerinnen. „Ehre ist etwas, das Frauen innewohnt und das von Männern beschützt werden muss. Die Ehre einer ganzen Familie wird auf den Körper einer Frau übertragen“, sagt dazu Raheel Raza, pakistanisch-kanadische Aktivistin in „Honor Diaries“.

Herausragend war der erste Film des Tages, „Dukhtar“, ein pakistanisches Drama von Regisseur Afia Nathaniel, der eine Mutter auf der Flucht zeigt, die ihre zehnjährige Tochter vor der Ehe mit einem gewalttätigen Stammesführer retten will. Die Verbindung wurde vom Vater des Mädchens arrangiert, um einen Streit zu schlichten. Diese filmische Auseinandersetzung mit dem Ehrenkodex, mit Kinderehe und Patriarchat wurde vielerorts zusammen mit ähnlichen Dokumentationen in Pakistan gezeigt. Im Land wurde so eine Debatte über Probleme entfacht, die normalerweise ignoriert würden, sagt Raza. Fesselnd war auch „Forced Mar­riage Cops“, eine britische Dokumentation, die Polizeibeamte in Manchester begleitet. Sie zeigt die Schwierigkeiten, mit denen die Beamten konfrontiert sind, wenn sie in der dortigen südasiatischen Community gegen Zwangsehen vorgehen.

Eine der Stärken der Veranstaltung war, dass mit den Dokumentationen aus Pakistan, Afghanistan, Iran und Indien sowie dem Vereinigten Königreich und den USA Filme gezeigt wurden, die direkt in den betroffenen Gesellschaften entstanden sind. Viele der Journalisten und Filmemacher produzierten ihre Filme angesichts großer Herausforderungen und nahmen hohe Risiken in Kauf. Hassan Fazili zum Beispiel, der zwei Kurzfilme auf dem Festival präsentierte, floh aus seiner Heimat Afghanistan, weil er Drohungen von den Taliban erhielt. Er lebt derzeit in einem Flüchtlingslager in Serbien und wurde auf dem Festival von seinem Freund und Mentor Hassan Nazeri vertreten.

Allerdings wurde nicht ganz klar, ob das titelgebende Thema tatsächlich „Zensur“ ist oder nicht vielmehr die erwähnte Frage der „Ehre“: In beiden Jahren lag der Fokus des Festivals fast ausschließlich auf der Verletzung von Frauenrechten in auf einem strikten Ehrbegriff beruhenden Gesellschaftsordnungen und größtenteils auf Ländern mit einer muslimischen Mehrheit.

Es ist notwendig, über diese Probleme zu sprechen und die Stimmen jener zu stärken, die es schwer haben, sie zu erheben. Doch wir müssen auch die Probleme vor unserer eigenen Tür anerkennen. Die Veranstalter könnten hier mehr tun, um Gewalt gegen Frauen im Mittleren Osten und Südasien mit Gewalt gegen Frauen in Europa und dem Westen in Verbindung zu bringen, da diese Probleme nicht unabhängig voneinander existieren. Denn, wie eine Rednerin des Festivals, Layla Hussein, sagte: „Die Kontrolle über den weiblichen Körper ist eine globale Angelegenheit“.

Jessica Abrahams

Aus dem Englischen

von NellyKirsch