Mehr Freiheit für Flüchtlinge: Bremen will Residenzpflicht kippen

Deutschland ist das einzige Land, das Flüchtlingen verbietet, sich frei zu bewegen. Bremen will das ändernn. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gerät die Bestimmung unter Druck.

Raus nur mit Ausnahmegenehmigung: Ein Flüchtling im Asylbewerberheim. Bild: dpa

BREMEN taz | Seit Jahren steht der Paragraf in der Kritik, nirgendwo in Europa gibt es ein vergleichbares Gesetz: "Räumliche Beschränkung des Aufenthalts", heißt die Bestimmung offiziell. Gemeint ist: Wer als Asylbewerber nach Deutschland kommt, darf seine zugewiesene Stadt oder den Landkreis nicht verlassen - nicht einmal für ein paar Stunden. Ob Klassenausflüge, Besuche bei Freunden oder Verwandten, Arzt- und sogar Behördentermine in anderen Städten: All dies dürfen Asylbewerber und Geduldete nur mit einer schriftlichen Ausnahmegenehmigung.

Jetzt haben SPD und Grüne, die gemeinsam in Bremen regieren, einen Gesetzentwurf in die Bürgerschaft eingebracht. Sie wollen damit die Praxis der Residenzpflicht abschaffen. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen gab es bereits ähnliche Vorstöße der oppositionellen Linkspartei.

125.000 Menschen betrifft das Gesetz bundesweit, 2.700 sind es in Bremen. "Die Residenzpflicht ist ein Riesenproblem", sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen. Aktuell betreut sie einen 48-jährigen Westafrikaner. Ihm wurde als Asylbewerber ein Landkreis in Baden-Württemberg zugewiesen, obwohl er ein zweijähriges Kind mit einer Deutschen aus Bremen hat.

Wer in Deutschland Asyl beantragt, darf seinen Wohnort nicht frei wählen. Den ihnen zugewiesenen Landkreis dürfen sie nicht verlassen - auch nicht für Besuche bei Verwandten oder Freunden.

Verstoßen sie gegen diese Vorschrift, drohen Gefängnisstrafen. 2009 wurde ein Kameruner in Thüringen deshalb zu neun Monaten Haft verurteilt.

Begründet wird die Auflage damit, dass die Flüchtlinge für die Behörden erreichbar sein sollen. Flüchtlingsorganisationen sehen darin eine rassistische Schikane.

Als die Vaterschaft noch nicht offiziell anerkannt war, durfte er sie nicht besuchen. "Immer wieder wurde er auf der Fahrt hierher von der Polizei kontrolliert", sagt Oerter. Und jedes Mal gab es ein Bußgeld für den Mann, der als Asylbewerber nur etwa den halben Hartz-IV-Satz bekommt. Am Ende bekam er einen Strafbefehl über 180 Tagessätze oder 5.400 Euro. "Damit gilt er als vorbestraft. Trotz seiner Vaterschaft besteht jetzt die Gefahr, dass er nicht in Deutschland bleiben darf", sagt Oerter.

Geht es nach der Bremer Regierungskoalition, soll mit damit Schluss sein. Die Residenzpflicht sei "eine einschneidende Beschränkung des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit", heißt es in dem Antrag. Sie verschwende Ressourcen bei Polizei und Justiz und "blähe die Kriminalstatistik ungerechtfertigt auf", weil Residenzpflichtverstöße als "Ausländerkriminalität" gelten. Schließlich isoliere sie die Menschen und hindere sie, Job oder einen Ausbildungsplatz zu finden.

In Bremen soll die Residenzpflicht so weit wie möglich gelockert werden. Weil die Regelung auf zwei Bundesgesetze zurückgeht, soll sich der Senat auf Bundesebene für eine Abschaffung der Normen einsetzen.

Bremen wäre damit Vorreiter. Im September hat zwar die rot-rote Regierung in Brandenburg die Residenzpflicht gelockert, auf Bundesebene nahm sich aber noch niemand des Themas an.

Anfang Juni räumte die Kieler Landesregierung ein, dass Asylbewerbern in Flensburg eine Gebühr von zehn Euro abgeknöpft wird, selbst wenn diese nur Familienangehörige im Nachbarkreis besuchen wollten. "Diese Menschen haben noch viel weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger", sagt die Linken-Abgeordnete Antje Jansen. Sie kündigte eine parlamentarische Initiative gegen die Residenzpflicht an.

Der Verband Pro Asyl, der seit Jahren gegen das Gesetz kämpft, nimmt die Bremer Initiative verhalten auf. "Das Gesetz gehört ersatzlos gestrichen", sagt Sprecher Volker-Maria Hügel. Der Bremer Antrag sei "halbgar": "Das ist erst mal eine Aufforderung an den Senat. Und bis jetzt war noch kein Bundesland mutig genug, das auf Bundesebene wirklich durchzuziehen."

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