„Parallel offene Fragen erforschen“

Sarah Drießen betreibt Forschung zur Elektropathologie und erklärt, warum man noch immer nicht eindeutig sagen kann,ob Mobilfunkstrahlung krank macht oder nicht. Harte Belege erhofft sie sich im Moment durch zwei neue Tierstudien

Illustration: Linda Wölfel

Interview Svenja Bergt

taz am wochenende: Frau Drießen, viele Menschen befürchten, dass Mobilfunkstrahlung sie krank macht, zum Beispiel Krebs verursacht. Sind diese Sorgen berechtigt?

Sarah Drießen: Das kann man noch nicht abschließend sagen. Die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, die IARC, hat die hochfrequenten Felder, zu denen auch die Felder von Mobilfunk gehören, als möglicherweise krebserregend eingestuft.

Was sehr vage ist.

Genau. Das liegt daran, dass es einerseits Studien gibt, die ein Risiko nahelegen. Das sind aber epidemiologische Studien. Und die fragen immer: Treten in bestimmten Bevölkerungsgruppen, bei bestimmten Gewohnheitsmustern bestimmte Krankheiten verstärkt auf? Doch daraus lässt sich keine Ursache ableiten. Und es gibt eben andererseits auch Studien, die nahelegen, dass es keine Zusammenhänge gibt.

Die Einstufung der Krebsforschungsagentur stammt von 2011. Ist das noch der aktuelle Forschungsstand?

Ja, es gibt immer noch keine klaren Belege. Allerdings sind gerade zwei große Tierstudien herausgekommen. Eine aus den USA, die im National Toxicology Program der US-Regierung lief, und eine andere aus Italien. Die liefern Hinweise darauf, dass hochfrequente Felder, zu denen Mobilfunkfelder eben zählen, doch krebserregend sein könnten.

Könnten?

Na ja, es gibt zwei Probleme. Zum einen hat es sich um Tierstudien gehandelt, das kann man nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen. Zum anderen waren die Tiere sehr viel stärkeren Feldern ausgesetzt als die, die wir nutzen. Aber es sind zwei große und wirklich gut angelegte Studien und daher muss man diese Ergebnisse ernst nehmen.

Und das heißt?

Foto: privat

Sarah Drießen

46, arbeitet am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der RWTH Aachen und leitet dort das EMF-Portal, ein Info-Portal zur Wirkung elektromagnetischer Strahlen.

Erst einmal sollte es darum gehen zu schauen: Sind die Studienergebnisse reproduzierbar? Korea und Japan haben bereits angekündigt, die Studien replizieren zu wollen. Das macht auf alle Fälle Sinn. Und es gibt viele Kritiker, die einzelne Details bemängeln, an der Methodik oder an der statistischen Auswertung. Aber das muss dann eben heißen: Man macht so eine Studie noch mal, um die Ergebnisse zu reproduzieren.

Sie haben den Überblick über eine Datenbank mit über 1.600 Studien zum Thema Wirkungen von Mobilfunk. Wie kommt es, dass es in diesen Studien ganz unterschiedliche Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen gibt?

Das liegt vor allem daran, dass die Studiendesigns sehr unterschiedlich sind. Unterschiedliche Tiere und Tierstämme werden genutzt, und die Tiere werden unterschiedlich lange und unterschiedlich starken Feldern ausgesetzt. Und natürlich: Auf welche Krankheiten wird hinterher untersucht und mit welchen Methoden werden diese festgestellt? Auch ist die Qualität der Studien sehr unterschiedlich. Es ist daher oft schwierig, Studien miteinander zu vergleichen. Und diese extreme Heterogenität der Studien trägt dazu bei, dass sich jedes Lager der Wissenschaftler einfach die für ihre Argumentation passenden heraussuchen kann. Deshalb war übrigens auch die Bewertung der Krebsforschungsagentur so zeitaufwändig. Diese ganzen Studien zu sichten, das dauert natürlich.

Die Frequenzen des neuen 5G-Netzes haben eher eine niedrige Reichweite und eine höhere Frequenz als die aktuellen. Was heißt das für den menschlichen Körper?

Grundsätzlich gilt: Je höher die Frequenz, desto mehr Strahlung wird an der Körperoberfläche absorbiert und desto weniger dringt in den Körper ein.

Ist das weniger problematisch?

Nicht unbedingt. In Deutschland liegen die neuen Frequenzen ja um die 3 Gigahertz. Die sind unserem jetzigen Mobilfunkstandard sehr ähnlich. Anders wird es, wenn man in den Bereich 30 bis 100 Gigahertz geht. Das ist möglich und auch in anderen Ländern schon in der Diskussion. Dann sollte man sich die Studien daraufhin noch mal neu anschauen.

Illustration: Linda Wölfel

Wäre es dann besser zu sagen: Vorsorgeprinzip, wir nehmen diese Frequenzen nicht?

Es gibt ja Grenzwerte und bislang fahren wir mit denen gut. Ich finde es wichtig, dass parallel offene Fragen erforscht werden, möglicherweise tun sich ja auch bei solchen Untersuchungen noch einmal neue Aspekte auf, denen man nachgehen muss. Aber so starke Hinweise, die es rechtfertigen würden, dass wir diese Technik erst einmal nicht einführen sollten, haben wir derzeit nicht.

Wie müsste denn eine Studie aussehen, die einen harten Beleg liefern würde?

Das Design, die Exposition und die Statistik müssten valide sein. Auch müsste eine gesundheitliche Wirkung klar identifiziert und durch mehrere Studien reproduziert werden. Idealerweise werden Hinweise aus epidemiologischen Studien durch Tierstudien bestätigt. Dann hätten wir einen harten Beleg.