Leergut sammeln: Die Hoffnung wächst mit jeder Flasche

Bisher waren Pfandsammler auf der Straße unterwegs. Jetzt machen sie Hausbesuche – dank pfandgeben.de. Oder sie gehen zur nächsten Flaschenskulptur im Park.

Fühlen sich meistens schlecht, wenn sie im Müll nach Pfand suchen: Flaschensammler. Bild: ap

Alibaba geht nur mit dem Kinderwagen zur Arbeit. Er hat ihn von Bekannten geschenkt bekommen, damit er in den sechs bis sieben Stunden nicht so schwer tragen muss. Alibaba – T-Shirt, Badeschlappen – sammelt Pfandflaschen. Im Schnitt verdiene er sich so am Tag 3 Euro zu seiner Sozialhilfe hinzu. "Das ist Arbeit", sagt er, "allein schon, weil es so anstrengend ist." Manchmal, erzählt er in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch, seien seine Füße am Abend geschwollen.

Alibaba heißt nicht wirklich Alibaba, aber er habe Angst, dass ihm das Sozialamt Probleme mache, wenn sein richtiger Name in der Zeitung steht. Deshalb Alibaba, der Name, mit dem er sich auf der Internetseite pfandgeben.de angemeldet hat.

Wenn man auf dieser Homepage angibt, dass man mehr als zwanzig Pfandflaschen abzugeben hat und im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg lebt, dann findet man da auch Alibabas Telefonnummer. Jonas Kakoschke hat sie dort eingetragen. Er hat die Seite ins Leben gerufen. Der 27-Jährige studiert Kommunikationsdesign. Pfandgeben.de ist sein Semesterprojekt.

Das Prinzip der Seite ist einfach: In einem Fenster wählt man den Stadtteil aus, in dem man wohnt – und bekommt Telefonnummern von Menschen, die die Pfandflaschen zu Hause abholen. "Ich hab vorher immer meine Flaschen auf die Straße gestellt", erzählt Jonas Kakoschke, "mir erschien es einfach logisch, dass dieser Austausch besser organisiert werden kann." Anfangs hat er Flaschensammler angesprochen und so die ersten 15 Telefonnummern zusammengetragen. Mittlerweile melden sich die Sammler per SMS an. Anfang Juli ging die Seite online, drei Wochen später hatten sich bereits 46 Sammler registriert – aus Berlin, Augsburg, Köln oder Görlitz.

Kakoschke war vom Erfolg der Seite anfangs selbst überrascht. Wie viele Flaschen bisher über die Seite ausgetauscht wurden, kann er aber nicht sagen: "Ich kann das nicht kontrollieren, und das will ich auch gar nicht."

"Ich muss dann nicht im Müll suchen"

Flaschensammler Alibaba hat bislang nur eine Handvoll Anrufe bekommen. Flaschen im Wert von 3 bis 5 Euro hat er abgeholt. Die Idee findet er trotzdem gut. "Ich muss dann nicht im Müll suchen, dabei fühle ich mich schlecht", sagt er. So schlecht, dass er manche Stadtteile ausspart. Die, in denen ihn die Leute mustern.

Die Idee, diese entwürdigende Tätigkeit zu umgehen, steht auch hinter den Metallgestellen, die Bildhauerin Steffi Stangl gerade für zwei Wochen im Berliner Weinbergspark aufgestellt hat. An langen weißen Dreibeinern hängen blaue und rote Körbchen, in die jeweils eine Flasche passt. Pfandumverteiler nennt sie ihre Gestelle, die ein bisschen an stilisierte Weihnachtsbäume erinnern. Statt in den Mülleimer sollen Parkbesucher ihre Flaschen in die Körbchen stellen, damit Sammler sie dort rausnehmen können, ohne vorher erst klebrige Eisverpackungen zur Seite räumen zu müssen.

Die stilisierten Weihnachtsbäume sind Teil des Projekts "Über Lebenskunst" von der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt. 14 Initiativen für Nachhaltigkeit und Kultur fördert das Projekt. Beim dazugehörigen Festival Mitte August will Steffi Stangl neben den Metallskulpturen auch ihre theoretische Auseinandersetzung mit dem Pfandsammeln veranschaulichen. Für sie ist diese Form der prekären Existenz, wie sie das Flaschensammeln nennt, ein Symbol für die Ungleichheit in der Gesellschaft. "Und ich habe mich gefragt, was das ist: Arbeit? Oder ist das zynisch, es Arbeit zu nennen, ist es eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung?"

Die Künstlerin beschäftigte der Gegensatz zwischen Feiernden und Bitterarmen, Normalverdienern und Ausgeschlossenen genauso wie die Verantwortung des Staats für das Glück und Wohlergehen des Einzelnen. Sie sprach mit Pfarrern, Sozialarbeitern und Ökonomen, mit Besuchern in einer Wärmestube und mit Flaschensammlern. Dass ihre Pfandumverteiler denen wirklich helfen könnten, daran glaubt sie nicht. "Sie können höchstens ein Symbol sein, ein winzig kleiner Schnittraum, in dem sich Geber und Nehmer treffen", sagt sie. Wenn jemand dort seine Flaschen abgebe, würde er jedes Mal an Menschen erinnert, die von Müll leben müssen, und wie ungerecht das sei.

Mit Faulheit helfen?

Ähnlich formuliert auch pfandgeben.de-Gründer Jonas Kakosche seine Absicht. Die persönliche Begegnung zwischen Sammlern und denen, die ihre Flaschen abholen lassen, könne Kommunikationswege eröffnen, sagt er. Im Blog netzpolitik.org ist lebhaft über sein Projekt diskutiert worden. Kritiker werfen ihm vor, er würde mit seiner Seite einen unhaltbaren Zustand zementieren, indem Menschen, die zu faul sind, ihre Flaschen wegzubringen, andere ihren Dreck wegräumen lassen. "Mir ist schon klar, dass ich hier Symptombekämpfung betreibe", sagt er dazu, "aber das ist besser als nichts, und ich sehe mich nicht in der Lage, das ganze System umzukrempeln."

Anfangs hat er gedacht, er würde kaum Sammler mit Handy oder überhaupt einer Telefonnummer finden – das Gegenteil war der Fall. Aber Kakoschke sagt auch, dass er nur diejenigen angesprochen hat, die er selbst in seine Wohnung lassen würde. Mittlerweile hat er keine Kontrolle mehr darüber, wer sich anmeldet. Er prüft bloß nach, ob die Person existiert und tatsächlich mitmachen will.

Flaschensammler Alibaba würde sich am liebsten so schnell wie möglich wieder von der Seite abmelden. Eigentlich ist er Fleischer und Koch, hat in Palästina ganze Hochzeitsgesellschaften versorgt. "Aber was soll ich machen? Von der Sozialhilfe kann ich meine fünf Kinder nicht versorgen." Statt mit seinem Kinderwagen durch Prenzlauer Berg zu ziehen, sagt er, würde er viel lieber "richtig arbeiten".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.