Ermittlungen gegen Günter Wallraff: Niedermacher niedergemacht

Gegen den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff wird wegen des Verdachts auf Sozialbetrug ermittelt. Besonders „SZ“-Rechercheur Leyendecker profiliert sich damit.

Ausnahmsweise mal in Zivil: Günter Wallraff. Bild: dpa

Als ich am Samstag in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel von Hans Leyendecker mit der Überschrift „Das doppelte Gesicht“ las, packte mich die blanke Wut. Der journalistische Scharfrichter, dem Eitelkeit und Selbstgefälligkeit nicht fremd sind, schreibt über einen politisch engagierten Kollegen, über Günter Wallraff, und versucht diesen mit bislang unbewiesenen Verdächtigungen zu demontieren.

Sicher ist es reiner Zufall, dass auch im neuen Spiegel über Günter Wallraff berichtet wird („Enthüllungen über einen Enthüller“). Dieser Bericht ist immerhin ohne die offene Häme Leyendeckers geschrieben, auch wenn er sich überwiegend auf die Aussagen eines enttäuschten Ex-Mitarbeiters von Wallraff stützt.

Dabei geht es mir offen gesagt überhaupt nicht darum, ob die Vorwürfe gegen Günter Wallraff zutreffend sind oder nicht. Bislang jedenfalls gibt es im Prinzip nur die Aussage des von Wallraff enttäuschten Exmitarbeiters. Und dass sich dann auch andere Vernachlässigte melden – das gehört wohl dazu. Was jedoch im Fall Wallraff auffällt, ist die gnadenlose Vorverurteilung eines Kollegen, der im Gegensatz zu seinen Kritikern eine politische Geradlinigkeit gezeigt hat, die heute leider nur noch bei wenigen Journalisten zu finden ist. Denn es ist ja nicht so, dass in Deutschland viele JournalistInnen schreiben, die politisch Farbe bekennen, die Partei ergreifen. Nein, viele verziehen sich lieber in die warme Ecke der sogenannten journalistischen Neutralität, um bloß nicht anzuecken.

geboren 1945, arbeitet seit 1971 als investigativer Journalist fürs Fernsehen und ist Buchautor. Günter Wallraff, mit dem er persönlich nicht bekannt ist, schätzt er seit den 70er Jahren für dessen Enthüllungsgeschichten.

Günter Wallraff hingegen hat sich, unabhängig von seinen umstrittenen Methoden, nachhaltig für die Unterdrückten und politisch Verfolgten eingesetzt. Und er hat sich damit viele Feinde geschaffen. Dass der Hauptbelastungszeuge gegen Wallraff, sein Exmitarbeiter, mit dem Anwalt einer Großbäckerei (über die Wallraff kritisch berichtet hatte), laut Spiegel, Wallraff „belastende Dokumente“ der Kölner Staatsanwaltschaft überreichte, zeigt ja, woher der Wind weht.

Für Unterdrückte engagiert

Laut Hans Leyendecker kursieren in der „Szene seit Wochen viele Geschichten über den 69-jährigen Aufklärer, die ihn als eine Mischung aus Despot und Trickser erscheinen lassen“, durch den Erfolg seiner Bücher sei er „zum Vermögensmillionär geworden“, habe aber „eine Vorliebe fürs Bare behalten“. Er habe bei 13 Vorträgen „im Jahr 2010 Honorare und Reisekosten von knapp 30.000 Euro“ erhalten. Und tückisch fragt Leyendecker: „Hat er alle Einnahmen ordentlich versteuern lassen?“ Es werden Vorwürfe ausgebreitet: „Ist Wallraff ganz echt oder ist er es nicht?“ Er soll – welch ein Skandal – „Helfer beim Schreiben“ gehabt haben, „soll bei Reden, Vorworten oder Zeitungsartikeln externe Schreibhilfe gefunden haben“. So viel soll, soll, soll.

Hat Hans Leyendecker bei seinen Geschichten nie Unterstützung bei KollegInnen gesucht? Und natürlich helfen gute Kontakte zu Ermittlungsbehörden. Denn wie sonst kommt man an die Information, dass das Kölner Finanzamt für Steuerstrafsachen der Staatsanwaltschaft den Strafverfolgungsbehörden Unterlagen über ein „Steuerverfahren gegen Wallraff“ zukommen lassen wird. Damit bekomme Wallraff jetzt „ein Aktenzeichen“, schreibt Leyendecker.

Ich erinnere mich an ein Interview im Deutschlandfunk am 31. Mai 2011. Darin sagte der gleiche Hans Leyendecker: „Die Schwierigkeit für Medien besteht eigentlich darin, wenn sie ganz ungestüm und auch mit so einer Vorverurteilungs- oder Vorfreispruchmentalität herangehen, dass sie immer außer Acht lassen, dass Millionen Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Ein Ermittlungsverfahren ist erst mal nur ein Ermittlungsverfahren, das so oder so ausgehen kann, und man hat auch tatsächlich von der Unschuldsvermutung auszugehen. Das wird immer stärker ignoriert.“

Also stellt sich die Frage: Wer urteilt da so gnadenlos über Günter Wallraff? Ich erinnere mich noch gut an die ehemalige Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen. Sie arbeitete in der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft, auch von Leyendecker als Informantin jahrelang geschätzt. Bundesweit bekannt wurde die Staatsanwältin während einer dienstlichen Aktion gegen einen prominenten Steuerbetrüger, der sein Kapital in Liechtenstein vor dem Zugriff des Finanzamts in Sicherheit gebracht hatte. Es war Klaus Zumwinkel, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post AG. Margrit Lichtinghagen war wegen ihrer Unbeugsamkeit von Kriminalisten, Steuerfahndern und vielen Kollegen hoch geschätzt. Geradlinigkeit und Unbeugsamkeit von Untergebenen – das konnte es in der Führung der Staatsanwaltschaft Bochum jedoch nicht geben und musste als Ungehorsam gegenüber der Amtsführung verstanden werden. Wie kann man also die Kollegin Lichtinghagen unglaubwürdig machen und zum Kotau zwingen?

Behördeninterne Intrige

Hilfreich sind in derartigen Fällen immer zwei Praktiken für eine effektive behördeninterne Intrige: Die Amtsleitung (deren Qualifikation für Wirtschaftsstrafsachen von außen als eher bescheiden beurteilt wird) sammelt Gerüchte und leitet daraufhin ein Disziplinarverfahren ein. Und damit das auch bundesweit bekannt wird, füttert man einen vertrauenswürdigen Journalisten mit den entsprechenden exklusiven Informationen. Es war Hans Leyendecker, der den damaligen leitenden Oberstaatsanwalt Bernd Schulte mit den Worten zitierte, die Staatsanwältin habe sich „ungebührlich verhalten und agiert hinterhältig“. Aus Leyendeckers Feder stammt auch der bemerkenswerte Satz: „Es ist im Leben und auch als Strafverfolger nicht einfach, immer saubere Hände zu behalten. Im Fall der Staatsanwältin gibt es den Verdacht von Mauscheleien“ (Süddeutsche Zeitung vom 17. Dezember 2008).

Oder: „Neben Illoyalität und Eigenmächtigkeiten wird der Ermittlerin von ihrer eigenen Behörde vorgeworfen, bei Millionen schweren Bußgeldzuweisungen an gemeinnützige Institutionen über Jahre getrickst und gemauschelt zu haben“ (Süddeutsche Zeitung vom 16. Dezember 2008). Zuerst war die Staatsanwältin nützlich. Dann jedoch, als sie für die Amtsleitung zu forsch beim Jagen der Steuersünder wurde, verbreitete Leyendecker, wenig zurückhaltend, die Behauptungen der Amtsführung gegen Margrit Lichtinghagen. Alle Vorwürfe stellten sich später als haltlos heraus – aber Lichtinghagens berufliche Reputation war zerstört. Sie verließ nach diesen publizistischen Jagdszenen die Staatsanwaltschaft.

Von Mitvorstand abgerückt

Erinnert sei auch an das Netzwerk Recherche, in dem Hans Leyendecker bis zum großen Knall mit im Vorstand saß – bis Ungereimtheiten auftauchten, die so überhaupt nicht in das gepflegte Image der journalistischen Aufrichtigkeit und Qualitätskontrolle der selbst ernannten journalistischen Chefaufklärer passte. Am 13. Oktober 2011 konnte man in der taz nachlesen, wie Hans Leyendecker, jahrelang stellvertretender Vorsitzender vom Netzwerk Recherche, auf einmal gegen seinen langjährigen Vorsitzenden loslegte: Thomas Leif sei „größenwahnsinnig gewesen, von ihm verantwortete Vorgänge kriminell und seine Handlungen vorsätzlich. Es sei dumm gewesen, ihm zu vertrauen“, fasste die taz zusammen.

Ach ja, die gemeinsame Verantwortung und Solidarität unter Journalisten – wo sind die ethischen Maßstäbe geblieben? Hauptsache, Leyendecker kann sein Image als Moralapostel weiter pflegen.

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