Debatte Übergriffe in Köln: Prekariat in jeder Hinsicht

Die Verdächtigen von Köln eint nicht, dass sie muslimisch sind. Es sind Männer aus Milieus, die es auch in nichtmuslimischen Gesellschaften gibt.

Junge Menschen stehen vor dem Kölner Dom

Eigentlich keine Sphäre, in der sich Schwächere den Stärkeren ausgeliefert fühlen müssen: Die Öffentlichkeit am Kölner Dom an Silvester. Foto: dpa

Was Frauen vom Kölner Hauptbahnhof schildern, ist eine Situation, die im üblichen kulturellen Kontext der Bundesrepublik – genauer: in Mittel-, Nord- und Westeuropa – als absolut überwunden galt: die krass eingeschränkte Freiheit, nachts die Öffentlichkeit beschreiten zu können. Es hat hierzulande sehr viel Zeit gebraucht, um einen moralisch auf Gewaltverzicht setzenden Konsens zu erzielen: Die Öffentlichkeit ist keine Sphäre, in der sich Schwächere den Stärkeren (üblicherweise: Männer) ausgeliefert fühlen müssen. Straßenlaternen (seit den fünfziger Jahren) und Überwachungskameras (seit den neunziger Jahren) gehören zum technischen Instrumentarium, das Schwächeren das Gefühl gibt, nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.

Die Öffentlichkeit ist der Raum, in der jeder und jede sich fraglos riskieren kann – ohne angefochten werden zu dürfen. Frauen, Trans*menschen, Drags oder Schwule: Das waren und sind immer potenzielle Opfer von (heterosexuellen) Männern in Gruppen, die sich überlegen fühlen und in ihrem Sinne mit Aggressionen (Schlägen, Androhungen, körperlicher Übergriffigkeit generell, mit abfälligen, sexualisierten Worten und so weiter) für ihre Ordnung sorgen (wollen und es viel zu oft noch tun).

Was in Köln leider registriert werden musste, ist ein Super-GAU dieser öffentlichen Moral: Die Polizei war nicht in nötiger Stärke präsent, die Attackeure konnten agieren, als gäbe es diese Sicherheitsinstanz nicht. Aber, und das mögen nicht alle gern hören, es sind nicht muslimische Männer oder Flüchtlinge schlechthin, es sind auch nicht Menschen aus Nordafrika generell, die für die Gewaltatmosphäre und die Angriffe selbst verantwortlich waren. Es sind bestimmte Männer. Und zwar – eben – heterosexuelle Männer. Denn jene, die in Köln und anderswo schockierten, waren und sind Jäger: nach Materiellem, nach Sexuellem in vergewaltigender Absicht.

Diese Männer eint nicht, grob gesagt, dass sie muslimisch sind. Vielmehr, dass sie aus Gesellschaften kommen, in der der Islam die absolute Dominanzreligion abgibt – und diese liefert jeden Vorwand zur Gewalt gegen Frauen, gegen Homosexuelle, gegen Schwächere überhaupt. Es sind Männer, die es in anderer Milieuzusammensetzung auch in nichtmuslimischen Gesellschaften gibt – haltlose, freischärlernde Personen, die gern in der sogenannten Unterschicht fantasiert werden.

Nicht mal für Männergruppen tauglich

Männer meist, die in der Soziologie gern als „Verlierer“ klassifiziert werden, als Lifestyle-Loser, die nichts als schlägern und hassen können. Existenzen, die keinen Fuß in die Tür der eigenen besseren Lebenschancen kriegen, Gespräche über sprüchelndes Gekläffe als Weiberkram verstehen und Geschlechterdemokratie als Wort meist nicht einmal buchstabieren können. Karl Marx hat ähnliche Gestalten als Lumpenproletariat bezeichnet, als Gesindel: Amokläufer eines zivilisierten Alltags, Prekariat in jeder Hinsicht. Schwere Jungs, denen mit therapeutischen Operationen nicht beizukommen ist. Prognosen? Keine guten. Nicht mal für Männergruppen tauglich.

In diesem Sinne aber hat die Szenerie von Köln nichts mit Flüchtlingen zu tun – die meisten, soweit man wissen kann, tragen nichts anderes im Sinne, als sich in diesem Land eine stabile bürgerliche Existenz aufzubauen. Mit Frau, Kindern, Beruf, Kleingarten usw.

Jene, die noch polizeilich zu identifizieren sind, sind aber solche, die über das Mittelmeer kamen: Keineswegs illegitime Welterkundungsabsichten im Gemüt, aber es sind solche, die mit dem Comment im zivilisierteren Europa nicht vereinbar sind. Sie sind, auch dies weiß man von ähnlichen Männern aus nichtmuslimischen Milieus, unfähig oder unbegabt, sich ein bürgerliches Leben aufzubauen – ihnen fehlt es an der Disziplin, Wege der Ausbildung zu gehen, die Fertigkeiten jenseits der Kunst, als Taschendieb oder Drogendealer zu arbeiten.

Der Islam hat in Deutschland jede gute Zukunft – nur die Ideen zur Sittlichkeit gehen nicht mehr

Das fette Auto, die prunkvolle Hochzeit mit irgendeiner Kinderzurweltbringerin: nicht kompatibel mit dem, worauf es in Europa (und nicht nur dort) ankommt. Sie kommen aus Ländern – eben auch: Nordafrika –, in denen Frauen keinen Schritt in der Öffentlichkeit tun können, ohne als legitime Beute von Männern zu gelten. Beinahe alle Frauen, darüber berichtete neulich Samuel Schirmbeck in der FAZ unter dem Titel „Sie hassen uns“, verschleiern sich in Algerien oder Marokko am ganzen Körper, um wenigstens das religiöse Signal, unantastbar zu sein, auszusenden. Geschützt sind sie aber auch dann nicht. Jedenfalls: Es ist in diesen Ländern ganz undenkbar für Frauen, ersichtlich einen Mini zu tragen.

Fehlende Liberalität

Dass der Islam keine kulturelle Wolldecke ist, die Geschlechterdemokratie im mitteleuropäischen Verständnis zu befördern, versteht sich beinah von allein: Eine Religion, die Frauen verhüllen will, die im Weiblichen ein Zeugungsbehältnis und einen Faktor der dienstleistenden Unterordnung nur erkennt, kann keine Stichwortgeberin für ein libertäres Zusammenleben sein.

Eine Religion, die von vielen so interpretiert wird, dass Frauen, die freizügig leben, selbst Schuld am sexualisierten Blick auf sie haben, kann nicht erwarten, dass man sie für zukunftsfähig hält. Aber der Islam hat in Deutschland jede gute Zukunft – nur die Ideen zur Sittlichkeit, auf die sich die schrecklichen Kölner Silvesterfeierer sehr vermutlich berufen, die gehen gar nicht mehr.

Die Süppchen allerdings, die auch in Sachen Köln gekocht wurden und werden, müssen als ganz unappetitlich zurückgewiesen werden. Mit Flüchtlingen hat das alles nur sehr begrenzt etwas zu tun. Sie müssen vielmehr vor jenen Abenteurern geschützt werden, die den moralischen Gehalt der Parole „Refugees welcome!“ ausbeuten. Dafür braucht es viel mehr Polizei – und wahrscheinlich auch schärfere Abschieberegelungen.

Szenen wie in Köln in der Silvesternacht sind durch nichts zu rechtfertigen, schon gar nicht mit dem Hinweis, diese Männer müssen ja kriminell werden, weil man ihnen nicht genug Taschengeld als Flüchtlinge zahlt. Eine solche Sicht mag sich links verstehen, ist trotzdem nichts als kaltherziger und opferdiskreditierender Menschenrettungskitsch.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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