Flüchtlinge im Conne Island: Verloren in Connewitz

Das Leipziger Conne Island, ein linkes Kulturzentrum, wendet sich an die Öffentlichkeit. Denn es ist an seinem Umgang mit Flüchtlingen gescheitert.

Eine Frau tanzt

Im Conne Island sollen alle zusammen tanzen können – egal welcher Herkunft Foto: reuters

LEIPZIG taz | Am Samstag war Melanie zum ersten Mal im Conne Island. Sie zahlte 10 Euro Eintritt, dann ging sie tanzen. Irgendwann an diesem Abend kam dieser Mann auf sie zu, der ihre Sprache nicht sprach. Er kam ihr näher, sie sagte nein. Er hörte nicht auf. Erst als andere Männer schließlich dazwischengingen, wandte er sich von ihr ab.

Melanie ist 23 Jahre alt und Jura-Studentin im ersten Semester. In Leipzig wohnt sie seit zweieinhalb Wochen. „Ich habe so etwas Zudringliches vorher noch nie erlebt“, sagt sie.

Das Conne Island im Leipziger Stadtteil Connewitz ist ein linkes Kulturzentrum und, neben der Roten Flora in Hamburg, eines der bedeutendsten linken Zentren der Republik. Der „Eiskeller“, wie er in der Szene genannt wird, hat ein Problem: Frauen, die sich nicht mehr zu Partys trauen; sexuelle Übergriffe auf eigenen Veranstaltungen, immer wieder. Was dieses Problem nicht kleiner macht: Diejenigen, die es verursachen, sagen MitarbeiterInnen, seien derzeit in erster Linie Geflüchtete und Migranten.

Und so wandte sich das linke Kollektiv am vergangenen Freitag mit einem Schreiben an die Öffentlichkeit, das wie ein etwas verlorener Hilferuf wirkt. Die Überschrift: „Ein Schritt vor, zwei zurück“. Es geht darum, wie das Kollektiv an dem Versuch und dem eigenen Anspruch gescheitert ist, möglichst vielen Flüchtlingen Zugang zu gewähren. In diesem Schreiben, das nicht vom häufig üblichen Pathos linker Gewissheit geprägt ist, bezichtigen sich die AutorInnen selbst der Naivität; sie spannen darin einen Bogen zum Sommer 2015 und ihrem eigenen Versuch, „sich der Welle der Willkommenskultur anzuschließen“.

Sie sorgten für Stress

Damals, als täglich Tausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, wollten die Aktivisten besonders vorbildlich sein. Das Kulturzentrum erfand gar ein eigenes Förderinstrument: den „Refugee-Fuffziger“. Die Idee: Alle Geflüchteten sollten an den Partys und dem Kulturleben des Zentrums teilnehmen können. Als Beitrag mussten sie statt des regulären Eintrittspreises nur symbolische 50 Cent zahlen.

Das Instrument wirkte sofort: Viele Flüchtlinge fühlten sich angesprochen. Damit einher ging, so heißt es nun in dem Schreiben, „der Missbrauch des ‚Refugee-Fuffzigers‘ durch junge Männer mit Migrationshintergrund, die in größeren Gruppen insbesondere Tanzveranstaltungen am Wochenende besuchen und den geringen Eintritt gern bezahlen, um dort für Stress zu sorgen“. So wirkte die Maßnahme nicht nur als eine Senkung der Kulturbarriere, sondern auch als Magnet für Konflikte, denen das Kollektiv offenbar nicht gewachsen war.

Plötzlich mussten die staatskritischen Linksradikalen immer öfter die Polizei rufen, weil die ehrenamtlichen Sicherheitsleute aus der linken Szene überfordert waren: Es gab vermehrte Diebstähle, sexuelle Übergriffe, betrunkene Männer, die sich nicht abweisen ließen. Daraufhin fühlten sich viele Frauen zunehmend unwohler oder blieben ganz weg.

Es ist Dienstagabend im Conne Island; Melanie steht draußen und raucht. Sie ist wiedergekommen, trotz der Erfahrungen vom Samstag, denn es gibt heute eine Erstsemesterveranstaltung in dem schwarzen, weiten Raum, wo an Wochenenden die großen Elektropartys und Konzerte gefeiert werden. Es geht um Polizeigewalt, strukturellen Rassismus in den USA und die „Black Lives Matter“-Bewegung.

Plötzlich mussten die staatskritischen Linksradikalen immer öfter die Polizei rufen

Ein paar Schritte weiter steht Laura, 30. Sie komme nur ab und an zu Partys hierher, sagt sie, vielleicht fünfmal in den letzten Monaten. „Aber jedes Mal bin ich auch bedrängt worden von Männern, die meine Sprache nicht sprechen. Das sind penetrante Typen, die nicht ablassen.“

Hat Laura diese Vorfälle gemeldet? „Nein“, sagt sie, „das habe ich nicht.“ Warum nicht? „Ich wollte den Männern den Abend nicht versauen.“

Wie bitte?

„Das sind, denke ich, oft traumatisierte Männer aus patriarchal geprägten Gesellschaften, die noch lernen müssen, sich hier zurechtzufinden.“

Nach kurzem Schweigen sagt sie: Wenn sie also nun so darüber nachdenke, dann müsse sie ihre Position wohl infrage stellen.

Wie das Problem lösen, ohne rassistisch zu wirken?

Solche Erfahrungen sind im Conne Island keine Einzelfälle. Es gibt vielleicht einen Grund dafür, dass vielen Frauen nicht wohl dabei ist, das Thema zu problematisieren. Ein Mitarbeiter sagt: „Wir wollen ein Arschloch rausschmeißen, weil er ein Arschloch ist, und andere Gäste schreien uns an, wir seien Rassisten.“ Eine Mitarbeiterin sagt: „Du kannst das Problem nicht lösen, ohne rassistisch zu wirken.“

Und so ist im Conne Island, wo an den Eingangstüren in arabischer Sprache die Club-Regeln aushängen, wo ein Skateboard-Workshop für geflüchtete Frauen etabliert worden ist, wo der Kampf gegen Rassismus zum Selbstverständnis gehört, etwas entglitten: Die Antirassisten des Kulturzentrums wissen nicht mehr, wer ein Arschloch ist. Zu viel anderes spielte in diesem letzten Jahr mit hinein.

Am Montag, ab 18 Uhr, kam dann das Plenum im ersten Stock des weitläufigen Gebäudes in der Koburger Straße zusammen. Hier stehen 22 Stühle mit abgesessenen grauen Stoffbezügen, vier alte Tische, aneinandergeschoben; drei verblichene grüne Ledersofas. Erst gab es hier immer mehr zu bereden; irgendwann begannen die Teilnehmer einen Text zu schreiben, ihn abzustimmen, darüber zu streiten.

Am Freitagmittag stellten sie diesen Text ins Internet. Mit ihrer Stellungnahme, sagt die Geschäftsführerin des Trägervereins, Tanja Rußack, wolle das Conne Island in der linken Szene eine Diskussion anstoßen, die nicht nur von Rechten besetzt werden dürfe.

Warum gibt es keine Arabisch sprechenden Sicherheitsleute? Wenn Ausländer für sie die Drecksarbeit erledigen wäre das ja selbst wieder rassistisch

Als Erstes berichtete die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit darüber. Die Leipziger Volkszeitung titelte verächtlich: „Conne Island ist in der Realität angekommen.“ So als habe sich ausgerechnet das Conne Island nicht seit Monaten genau dieser Realität gestellt. Sicher: Das Schreiben taugt als Steilvorlage – dort, wo statt über die Substanz dieses Schreibens nur über seinen Symbolgehalt gestritten wird.

Viele in der linken Szene finden die Veröffentlichung mutig und richtig. Bei anderen sorgt sie für Entsetzen. Eine, die dem Conne Island nahesteht, sagt: „Diese Erklärung ist politisch instinktlos und hat das Niveau eines Alice-Schwarzer-Feminismus, in dem alle Flüchtlinge einem pauschalen Verdacht ausgesetzt werden.“

Sexismus, auch das ist ja eine Wahrheit, ist in Connewitz kein neues Phänomen. Da sind die Oi-Skins, da sind gewaltbereite Ultra-Fans aus dem Umfeld von Chemie Leipzig, die im Conne teils für Sicherheit sorgen sollen. Da sind, neben vielen anderen, schon immer auch die Arschlöcher gewesen, die übergriffig werden.

Das Sprechen fällt schwer

Existierende Probleme löse man nicht, heißt es unter Kritikern weiter, in dem man Texte veröffentliche, sondern die Probleme behebe. Warum sei der Text nur auf Deutsch erschienen und nicht auf Arabisch? Warum gebe es keine Arabisch sprechenden Sicherheitsleute bei den Partys, wenn eines der Probleme die Sprachbarriere ist? Die Antwort: Sie wollten keine Ausländer anstellen, die für sie dann die Drecksarbeit erledigen müssten, heißt es; das sei ja selbst wieder rassistisch.

Und so hat sich das Conne Island, nach und nach, in eine Zwickmühle manövriert, in der das Sprechen zunehmend schwerer fällt. Der offene Brief soll das ändern. Gesprochen, zumindest so viel ist klar, wird nun darüber.

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