Interview mit Hamidreza Torabi: „Doppelstandards müssen enden“

Weil er von Sigmar Gabriel zum Friedensdialog der Religioneneingeladen war, ist der Leiter der schiitischen Islamischen Akademie Hamidreza Torabi in den Fokus der Medien geraten.

„Ich wusste nicht genau, was auf den Plakaten steht“, Hamidreza Torabi, zweiter von links, hilft, in Berlin beim Al-Quds Marsch 2016 zweideutige Botschaften zu verbreiten. Foto: Soeren Kohlhuber/dpa

taz: Herr Torabi, Ihre Einladung ins Auswärtige Amt hat für mediales Aufsehen gesorgt. Dabei hieß es, Sie wären Organsisator des Al Quds-Marschs in Berlin: Stimmt das?

Hamidreza Torabi: Zunächst einmal möchte ich mich bedanken, dass endlich jemand auch das Gespräch mit uns sucht und nicht nur über uns schreibt. Das finde ich üblich, und nur so ist ein besseres Verständnis möglich. Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass die Teilnahme an einer Friedenskonferenz solche publizistischen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Konferenz war ein voller Erfolg, und ich weiß nicht, welche Rechnungen mit dieser Art der Berichterstattung darüber beglichen werden sollten – auf Kosten der Islamischen Akademie Deutschland und auf Kosten meiner Person.

Inwiefern?

Bei all den Anschuldigungen und Verleumdungen, die ich über mich lesen durfte, treffen nur zwei Dinge zu: Es stimmt, dass ich Leiter der Islamischen Akademie Deutschland bin. Und es ist wahr, dass ich an dieser Friedenskonferenz teilgenommen habe. Alles andere hat mit der Wahrung journalistischer Standards aber auch mit dem Recht des Einzelnen auf korrekte Darstellung nichts zu tun.

44, schiitischer Theologe; Promotion 2007 an der Islamischen Hochschule Qum – gleichzeitig Verleihung des Titels eines Hodschatolleslam; seit 2011 Lehrerlaubnis (Itschtihad); seit 2013 Direktor der Islamischen Akademie Deutschland, an der er den Studiengang Islamische Theologie aufgebaut hat, der von der Al-Mustafa-Universität Qum akkreditiert wurde.

Die Konferenz „Friedensverantwortung der Religionen“ fand am 21. Mai im Außenministerium statt. „Hamidreza Torabi war kein Teilnehmer der eigentlichen Konferenz“, erklärt das Auswärtige Amt. Er sei nur „als einer von 1.000 geladenen Gästen“ bei der Eröffnungsveranstaltung dabei gewesen.

Die Jerusalem Post macht daraus am 26. Mai, Sigmar Gabriel (SPD) hätte „an extremist Iranian religious leader“ begrüßt, der die Zerstörung von Israel beim Al-Quds-Marsch 2016 gefordert habe – diverse Medien folgen.

Der Al-Quds-Tag ist ein von Ruyollah Khomeini 1979 ausgerufener beweglicher Feiertag: Am letzten Ramadan-Freitag dient er iranischen Stellen als Medium antizionistischer Ressentiments. Auch in Berlin findet jährlich ein zentraler Marsch statt. Der Verfassungsschutz Hamburg sieht „Anhaltspunkte dafür, dass das Islamische Zentrum Hamburg [...] an der Organisation und Durchführung“ des Al-Quds-Marschs in Berlin beteiligt sei.

Die Nähe des IZH zum iranischen Regime gefährdet Hambugs Muslim-Staatsvertrag.

Waren Sie denn organisatorisch mit der Al-Quds-Demonstration voriges Jahr betraut?

Es ist so, dass ich zum ersten Mal an dieser Versammlung teilgenommen habe, die schon seit Jahren in Deutschland stattfindet. Weder bin ich an ihrer Organisation beteiligt noch habe ich in irgendeiner Weise zu ihr beigetragen. Meines Wissens nach kommen bei dieser Veranstaltung Menschen zusammen, um einzutreten für die Würde und Rechte der Entrechteten, der Frauen und Kinder, die in Palästina leben. Sie nehmen das auch als ihre religiöse Pflicht wahr. Aus diesem Grund habe ich als Individuum an der Demonstration teilgenommen – als Mensch und als Theologe, der sich gegenüber seinem Schöpfer verpflichtet fühlt, gegen Unrecht seine Stimme zu erheben.

Das Plakat, das Sie getragen haben, zeichnet sich nicht durch eine theologisch tiefe Botschaft aus: Es behauptet bloß, der Staat Israel sei „widerrechtlich und verbrecherisch“. Wer hat den Text verfasst und warum haben Sie ihn sich zu eigen gemacht?

„Wir sind nicht die Vertretung des iranischen Staates“

Wie erwähnt, hatte ich mich persönlich entschieden, an der Veranstaltung teilzunehmen: Dort habe ich erst einmal geschaut, wo ich mich in dieser Veranstaltung orientieren kann, ob ich jemanden kenne, ob es eine Ordnung gibt, der ich mich anschließen kann: Dabei habe ich die Gruppe der Rabbiner in ihren traditionellen Gewändern und einen unserer christlichen Dialogpartner entdeckt. Ich hielt es für angebracht, dass ich mich als Theologe – ich trage ja auch stets mein religiöses Gewand – dieser Gruppe anschließe. Vieles, was in der Welt stattfindet, wird zu Unrecht mit Religionen in Beziehung gesetzt: Es sind nicht die Religionen, die zu Hass und Gewalt aufrufen. Umso mehr war das eine Bestärkung, mich neben meine jüdischen Brüder einzureihen. Ich hätte es schöner gefunden, einander an die Hand zu nehmen, um eine Menschenketten zu bilden. Aber die Rabbiner trugen bereits Plakate, sodass ich meinen Arm auf eines von ihnen gelegt habe.

Das heißt, Sie wussten nicht, was draufsteht?

Nein, ich wusste nicht genau, was auf den Plakaten draufsteht. Ich kenne aber den Geist der Veranstaltung – und mir ging es darum, eine Einheit der abrahamitischen Religionen zu symbolisieren.

Und jetzt, wo Sie die Botschaft des Plakats verstehen – entspricht sie Ihrer Ansicht nach dem Geist des Al-Quds-Tages?

Wie Sie sehen, steht auf den Plakaten, dass „das Judentum“ den Staat Israel ablehnt. Ich bin kein Jude, das sind also nicht meine Inhalte. Es scheint tatsächlich, als ob es unterschiedliche Wahrnehmungen dieser Botschaft gäbe. Einige von ihnen teile ich ganz ausdrücklich nicht: Ich verstehe die Botschaft so, dass diejenigen, die das Plakat verfasst haben, jede Form von Extremismus, Rassismus, Apartheid und Gewalt als dem Judentum fremd ansehen und von der Religion fernhalten möchten. Genauso, wie man die terroristische Gewalt des ISIS nicht dem Islam zuschreiben darf, darf man Gewalt, Diskriminierung und jegliche Form von Unrecht auf eine Religion zurückführen. Aus meinem islamischen Verständnis heraus ist dabei deutlich hervorzuheben, dass alles abzulehnen ist, was widerrechtlich und verbrecherisch ist, sowohl im Bezug auf die Gesetze etwa der Bundesrepublik Deutschland als auch auf das Völkerrecht. Was gegen den Geist des Friedens verstößt und das Miteinander auf nationaler und internationaler Ebene gefährdet, ist aus theologischer Sicht abzulehnen.

Aber die Botschaft ist ja so allgemein nicht gehalten – sondern richtet sich konkret gegen den Staat Israel, dem unterstellt wird, illegal zu sein. Und das ist nicht nur eine Haltung dieser spezifischen jüdischen Gruppierung der Neturei, sondern auch der iranischen Führung seit Khomenei. Teilen Sie denn diese Einschätzung?

Im Bezug auf das Verhältnis und die Beziehungen der Völker gibt es Rechte, die eingehalten werden müssen. Kein Mensch darf aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, Glaubens oder seiner religiösen sowie politischen Anschauung, Diskriminierung, Rassismus und Apartheid ausgesetzt werden. Wenn aber jemand zu einer Bedrohung für die Menschheit wird, dann müssen wir gemeinsam dagegen eintreten. Das ist das, was uns der heilige Koran lehrt, und das ist meine Sicht als schiitischer Theologe. Es darf nicht sein, dass Menschen aufgrund von bestimmten politischen Konstruktionen unrecht behandelt werden. Wir sehen heute in vielen Ländern der Welt Unterdrückung und Unrecht. Und dies würde ich genauso anprangern.

Auch die Verfolgung der Ba’ hai, die Massenhinrichtungen und die Folter im Iran?

Wir sind nicht die Vertretung des iranischen Staates, zumal in der Islamischen Akademie Deutschland Gelehrte aus dem Iran, Irak, der Türkei, Afghanistan, dem Libanon, aber auch aus Deutschland und Österreich als Theologen wirken. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen: Wir sind die Vertreter der schiitischen Theologie und Rechtsschule, sozusagen Vertreter der Quellen der Nachahmung, Mardscha-e Taghlid, hier in Deutschland und Europa, die aufgrund von historischen Ereignissen vorwiegend im Iran, aber auch im Irak oder im Libanon beheimatet sind. Was den Iran angeht, kann ich nur meine persönliche Meinung und Wahrnehmung als iranischer Bürger mitteilen: Der Iran gibt religiösen Minderheiten, so auch den Christen und Juden Schutz und die Freiheit, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. Religiöse Minderheiten haben ihre Gotteshäuser und einen festen Platz und eigene Vertreter im Parlament. Sie nehmen, zusammen mit allen anderen Iranern, an freien und demokratischen Wahlen teil, um ihre Regierung zu wählen, während zum Beispiel ein Land wie Saudi-Arabien, das keinerlei Demokratie kennt, das von Vertretern des Westens hofiert wird, Waffen im Wert von Milliarden Dollar kaufen darf, von denen wir alle wissen, in wessen Händen sie landen und welchen Flächenbrand sie auf der Welt angezettelt haben. Nicht nur, dass sie mit ihrer extremistischen Ideologie den mittleren Osten in Brand gesetzt haben, sie haben auch hier in Europa, in Berlin, in Paris und in Manchester, Angst, Terror und Gewalt verbreitet. Diese Doppelstandards müssen enden. Lassen sie mich ergänzen: Im vergangenen Jahr kam im Rahmen einer Tagung, bei der unsere Dialogabteilung mitgewirkt hat, hier im Islamischen Zentrum Hamburg, das Interreligiösen Frauennetzwerk Hamburgs zusammen, wo auch die Vertreterinnen der Ba’hai-Gemeinde teilgenommen und Räume für die Ausübung ihrer Gebete zur Verfügung gestellt bekommen haben. Will man das nicht sehen oder wird dies bewusst verschwiegen? Also, wir sind offen für den Dialog und respektvoll im Umgang mit jedem – unsere Taten sind der Beweis dafür.

Aber dann sprechen Sie doch die Ungerechtigkeiten im Iran an – wohin Sie direkte Kontakte und gute Beziehungen haben. Wäre das nicht viel effizienter?

Ich bin kein Politiker. Ich bin ein Theologe. Ich handele aus meiner religiösen Verantwortung. Das heißt, dass ich hier nicht gegen oder für ein bestimmtes Land spreche. Das habe ich in den Jahren, in denen ich in Deutschland lebe, auch nicht getan: Ich habe als Leiter der Islamischen Akademie keine politischen Aussagen getätigt oder in irgendeiner Weise für oder gegen ein Land gesprochen. Es ist unwahr, dass ich zu Hass und Gewalt gegen Juden und die Vernichtung eines Staates aufgerufen hätte. Überall in der Welt geschehen Ungerechtigkeiten. Deren Ausmaße sind zweifellos unterschiedlich, ebenso wie ihre Auswirkungen. Ein Indikator dafür könnten zum Beispiel die UN-Resolutionen gegen ein Land sein. Aber überall, wo Ungerechtigkeiten geschehen, müssen sie angesprochen werden. Ich für meinen Teil tue das, egal, wo ich das sehe, und egal, wo ich eine Ungerechtigkeit empfinde.

Anmerkung: Das Gespräch wurde von Mohammad Ale Hosseini, dem Leiter der Dialogabteilung des Islamischen Zentrum Hamburg, Pharsi-Deutsch und Deutsch-Pharsi gedolmetscht.

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