piwik no script img

Betrunkener Fahrlehrer in GreifswaldGas geben, Grenzen überschreiten

Kommentar von Wlada Froschgeiser

Ein Fahrlehrer wurde mit 1,6 Promille auf dem Beifahrersitz erwischt. Ständig gibt es Übergriffe in Fahrschulautos: Sie sind ein Miniatur-Patriarchat.

Betrunken auf dem Beifahrersitz: Autofahren ist nicht sein Ding Foto: Peter Dazeley/getty images

E in Fahrschulauto kann sich für junge Frauen als rollender Schauplatz für Übergriffe entpuppen. Nahezu jede, die das Autofahren bei einem Mann gelernt hat, verfügt über ein Reservoir unangenehmer Anekdoten, über die sie nur müde lächeln kann. Schließlich scheinen diese Erlebnisse so selbstverständlich wie unumgänglich zu sein.

In Greifswald machte eine Fahrschülerin kürzlich eine besonders grenzüberschreitende Erfahrung. Laut NDR habe sich ihr 62-jähriger Fahrlehrer während der Stunde einen Wein genehmigt, den er sich zuvor an einer Tankstelle besorgt hatte. Eine Zeugin habe beobachtet, wie er den Tropfen kostete, die Flasche im Kofferraum verstaute und sich wieder zurück auf den Beifahrersitz begab. Nach der Fahrstunde habe die Polizei 1,6 Promille bei ihm festgestellt.

Das ist nicht das Einzige, was sich Frauen immer wieder gefallen lassen müssen, wenn sie ins Fahrschulauto steigen. Denn dieses Auto ist für junge Frauen eine Nahaufnahme, eine Art Miniaturversion des Patriarchats. Hier dringen die Herrschaftsverhältnisse unmittelbar in die kleinen, unscheinbaren Momente des Alltags ein.

Warum ist ausgerechnet das Fahrschulauto ein Mini-Patriarchat? Der 62-jährige Fahrlehrer bringt die Schülerin mit seinem Konsum in Gefahr, weil er es kann; genau wie Männer in Machtpositionen bei Fehlverhalten seltenst Konsequenzen drohen. Die Praxisstunden absolviert die junge Frau auf engstem Raum mit dem, der sie in Gefahr bringen könnte.

Eine Möglichkeit, zu entkommen, gibt es nicht unbedingt. Ähnlich verhält es sich mit den patriarchalen Strukturen, denen man nicht entfliehen kann. Und der einzige Passagier, der sich mit Motor und Getriebe auskennt, steht möglicherweise völlig neben sich. Sie hat zwar das Steuer in der Hand, doch eigentlich bestimmt der männliche Beifahrer: Er hat die Kontrolle über das Gaspedal in seinem Fußraum. In diesen Strukturen ist er unbeobachtet und muss sich vor niemandem verantworten. Hätte man der Fahrschülerin ohne die zufällige Zeugin geglaubt?

Die Übergriffe haben System

Der Fahrlehrer aus Greifswald ist nicht der Erste, der das Machtgefälle, das im Fahrschulauto herrscht, ausnutzt. Immer wieder beweisen Vorfälle, dass Fahrlehrer unbeobachtet zu Abscheulichem fähig sind. Zum Beispiel steht ein 41-jähriger Fahrlehrer Ende Juli in Baden-Württemberg vor Gericht, weil er eine 17-jährige Fahrschülerin mutmaßlich mehrfach vergewaltigt und weitere Schülerinnen belästigt haben soll. Dem SWR sagte der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe dazu: „Die Dunkelziffer ist sehr hoch, da die meisten der Fahrschülerinnen keine Anzeige erstatten und die Übergriffe stillschweigend hinnehmen.“

Erklärungen finden sich dafür reichlich: Junge Frauen investieren viel Zeit und Geld in ihren Führerschein. Je schneller sie sich durch die Stunden beißen, desto eher haben sie ihn in der Tasche und desto günstiger kommen sie weg. Sie spüren das Machtgefälle und nehmen es stillschweigend hin, dass er möglicherweise übergriffig oder besoffen ist. Oder sie können die Übergriffigkeit als solche noch nicht benennen, haben kein Werkzeug, sich dagegen zu wehren.

Eine Hand streicht mal über den Oberschenkel, aber keine Angst, das war nicht anzüglich, er wollte ja nur zeigen, wie das Schalten funktioniert

Sexuelle Übergriffe, Grenzüberschreitungen oder widerwärtige Kommentare zum Aussehen oder Körper sind keine Einzelfälle. Sie haben System. Männliche Fahrlehrer sind an Fahrschulen in deutlicher Überzahl. Dann streicht eine Hand mal über den Oberschenkel, aber keine Angst, das war nicht anzüglich, er wollte ja nur zeigen, wie das Schalten funktioniert. Die mutmaßlichen Täter können ihre Übergriffe wunderbar hinter den Autotüren verstecken.

In Greifswald habe die Polizei dem 62-Jährigen laut NDR nach seiner ­Fahrstunde einen Besuch ­abgestattet und ihm nach einem Alkoholtest ­kurzzeitig die Fahrerlaubnis entzogen. Damit ist nur einer von vielen aus dem Verkehr gezogen. Die anderen, jene ­unbekannte „Dunkelziffer“, klopfen weiterhin ungefragt Sprüche darüber, wie die Schülerin den Schalt­knüppel hält, oder fragen sie bei Nacht­fahrten über den Beziehungs­status aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare