1. Zusammenfassung "Stuttgart 21"-Protest: "Es ist entsetzlich"

Bei der Räumung des Stuttgarter Schlossparks setzte die Polizei massiv Wasserwerfer und Tränengas ein. Viele Demonstranten sind verletzt, die Rettungskräfte wohl überfordert.

Im Visier der Wasserwerfer: Demonstranten im Stuttgarter Schlosspark. Bild: dpa

STUTTGART taz | Der Konflikt um das Bahngroßprojekt Stuttgart 21 ist eskaliert. Mit einem Großaufgebot der Polizei mit mehreren Hundertschaften wurde am Donnerstagvormittag gegen 11 Uhr versucht, Absperrgitter in den Mittleren Schlosspark anzuliefern. Dabei kam es zu heftigen Zusammenstößen von Demonstranten mit der Polizei. Augenzeugen berichten von Verletzten, die von freiwilligen Helfern notdürftig versorgt wurden. Über den Onlinedienst Twitter kursierten unterschiedliche Meldungen. Demnach gäbe es einen Toten, der einen Herzinfarkt erlitten hat. Das DRK erklärte, es sei eine Falschmeldung.

Demonstranten besetzten anfangs Zufahrtswege und Fahrzeuge. Dabei kam es teilweise zu heftigen Auseinandersetzungen. Sitzblockaden wurden gebildet. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Pfefferspray vor, um die Sitzblockaden aufzulösen. Augenzeugen berichteten, dass Beamte zum Teil auf umherstehende Passanten mit Wasserwerfern gezielt hätten. Ein älterer Mann sei dabei einfach umgekippt, mehrere verletzt.

Zu Beginn der Räumung fand eine Bildungsdemonstration von Schülern statt. Unter dem Motto "Bildung statt Stuttgart 21" (Aufruf) hielten sich nach Veranstalterangaben rund 2.000 Schülerinnen und Schüler im Schlosspark auf. Augenzeugen berichteten auch hier von sehr heftigen Auseinandersetzungen. "Die Polizei hat auf Kinder und Jugendliche eingeknüppelt und sie so zurückgedrängt", berichtete eine Frau. Gleichzeitig hätte die Polizei mit Lautsprecherdurchsagen dazu aufgerufen, sich von den Gewalttätern zu distanzieren.

Im weiteren Verlauf besetzten rund ein Dutzend Demonstranten Fahrzeuge und wurden von Polizeikräften entfernt. Passanten wurden durch Pferde zurückgedrängt. Die Demonstrierenden skandierten "Keine Gewalt", "Aufhören" und "Wir sind das Volk". An anderer Stelle im Park wurde die Nationalhymne gespielt.

In einem Biergarten im Park wurde ein notdürftiges Lazarett errichtet. Eine taz-Journalistin vor Ort berichtet von "unglaublich vielen Augenverletzungen". Die Rettungskräfte seien völlig überfordert. Demonstrierende seien geschlagen worden, von Wasserwerfern beschossen oder wurden durch Pfefferspray getroffen. Beim Notruf 110 und 112 bekamen Anrufer nur die Auskunft, dass sich ein Notarztwagen des DRK im Park befindet. "Die Verletzten sollen da hin gehen", hieß es. Ein weiteres Einsatzfahrzeug sei nicht vorgesehen. Der Notarzt käme allerdings gar nicht zu den Verletzten vor, sagte ein freiwilliger Helfer von den Parkschützern.

Nach Angaben von Polizeipräsident Siegfried Stumpf sollen in der Nacht zum Freitag die ersten Bäume gefällt werden. Die Fällarbeiten sollen bis Samstag dauern. Die Stuttgart-21-Sprecher Udo Andriof und Wolfgang Dietrich erklärten, ein Teil des der mittleren Schlossgartens werde für die Einrichtung des Grundwassermanagements gebraucht und freigeräumt. Es sollen die ersten 25 Bäume gefällt werden. Insgesamt werden für das Bahnprojekt 282 Bäume fallen. Gleichzeitig verpflichtete sich die Bahn dazu, neue Bäume zu pflanzen. Wo es möglich sei sollen auch Bäume versetzt werden.

Michael Kienzle von der Fraktion die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat fand das Vorgehen der Einsatzkräfte und der Projektverantwortlichen skandalös: "Diese Terminierung – zeitgleich mit einer angemeldeten Schülerdemonstration – ist eine Rücksichtslosigkeit. Nicht einmal die Stadtverwaltung wusste Bescheid, dass hier und heute die Räumung bevorsteht. Wir müssen jetzt schauen, wie wir mit dieser Situation umgehen."

Drastischer drückten es die Parkschützer aus: "Es ist entsetzlich, was sich hier für Szenen abspielen. Ministerpräsident Mappus verspielt es sich mit den Bürgern vollends, für das Projekt Stuttgart 21 zeigt er heute sein wahres Rambo-Gesicht", sagt Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer.

Besonders rüde seien einzelne Einsatzkräfte vorgegangen, die aus anderen Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern) angefordert wurden. Besonders die schwarz gekleideten Einsatzkräfte der Beweissicherung- und Festnahmeeinheit (BFE) haben die Demonstrierenden bedrängt und mit Knüppel angegangen. Einzelne Beamte kommentierten das Geschehen unter anderem mit den Worten: „Jetzt geht das Spiel los“. Ein Polizeisprecher konnte diese Aussagen nicht bestätigen, distanzierte sich aber davon. Ansonsten sei das Vorgehen der Polizei richtig. „Wir versuchen zu deeskalieren, wo es geht, in bestimmten Fällen ist aber so ein Einsatz gerechtfertigt“, sagte er.

Bis 15.30 Uhr strömten immer mehr Passanten in den Park. Die Polizei schätzt die Anzahl auf mehrere Tausend. Nach Angaben der Parkschützer befanden sich zu diesem Zeitpunkt rund 12.000 Demonstrierende im Schlosspark. Am Eingang des Parks haben sich einige Aktivisten von Robin Wood an bislang drei Bäume gekettet. Sie wollen damit die Fällung verhindern.

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