Im Altersheim der Stasi

PFADFINDERIN In „Zeugin der Toten“ (20.15 Uhr, ZDF) putzt die Heldin die blutigen Spuren der Ermordeten weg. Dann muss sie einer Fährte in die eigene Vergangenheit folgen

VON LEA STREISAND

Judith Kepler geht in Wohnungen, in denen Tote gefunden wurden, und macht sauber. Putzt die Blutlachen weg, entsorgt vom Tod ruinierte Decken und Polster; kurz, entfernt den ganzen Dreck, der davon zeugt, dass hier ein Mensch ermordet worden ist. Eines Tages überrascht Judith Kepler – gespielt von Anna Loos – einen fremden Mann in der Wohnung einer Ermordeten. Er pult eine Wanze aus der Klimaanlage und hat eine Waffe bei sich. Er schlägt die Putzfrau nieder und entkommt. Zurück bleibt eine Kinderheimakte. Über Judith Kepler.

Was der Zuschauer schon ahnt, die Protagonistin aber noch herausfinden muss: Sie und die Tote wurden als Kinder vertauscht. Der Name der Toten war nämlich Judith Kepler, ihr eigener ist Christina Sonnenberg. Leider kann sich die Protagonistin aber an nichts erinnern, denn: „Die haben mir Medikamente gegeben.“

Mutter, wo bist du?

Vielversprechend, wenn eine berufsmäßige Spurenbeseitigerin zur Spurenleserin in eigener Sache wird. Das Versprechen wird nur leider nicht eingelöst.

Der Plot stammt aus einem Roman von Elisabeth Herrmann, der ebenso heißt wie der Film. Es dreht sich das Karussell der Verwechslungen und Verschwörungen. Es geht um die Stasi und den BND, um DDR-Kinderheime und Stasi-Seniorenheime und um Judith Keplers, äh … Christina Sonnenbergs tragische Geschichte. Grund der ganzen Aufregung sind – das erfährt man irgendwann, sofern man gut aufpasst – die sogenannten Rosenholz-Dateien, jene vor einigen Jahren vieldiskutierten MfS-Archivdateien, deren Inhalt in der Realität weit weniger spektakulär ist, als hier behauptet wird. Blöd ist nur, dass dieses Motiv irgendwann gar keine erkennbare Rolle mehr spielt. Stattdessen ist die Protagonistin auf der Suche nach ihrer Mutter. Der Mann, der sie in der Wohnung der echten Kepler überwältigt hat, ist ein ehemaliger BND-Agent namens Quirin Kaiserley (Rainer Bock). Er sucht den Verräter der gescheiterten Republikflucht, die Christina Sonnenberg ins Heim brachte und zu Judith Kepler werden ließ.

In der Vorlage von Elisabeth Herrmann wird die Spannung vor allem durch Cliffhanger anhand ständiger Zeit-, Ort- und Perspektivwechsel erzeugt, die über mehrere Ungereimtheiten hinwegtrösten. Durch die Verknappung der Handlung im Film vergrößern sich diese Ungereimtheiten zu Absurditäten. Als Judith Kepler zum Beispiel ihre ehemalige Heimerzieherin besucht, lässt ein ehemaliger Stasioffizier Hunde auf sie hetzen. Klar, warum nicht gleich Kampfjets?

Agent mit Superkräften

Zum Glück wartet wie auf Bestellung der Ex-BNDler vor den Toren der Stasi-Hölle. Aber wie ist der da hingekommen? Merke: Ehemalige Geheimdienstmitarbeiter haben immer Zugang zu allen Überwachungskameras und in alle Handynetze. Weltweit. Sie können Haftbefehle außer Kraft setzen und sind in der Lage, sich blitzschnell an jeden beliebigen Ort zu beamen.

Regisseur und Drehbuchautor Thomas Berger hat mit „Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“ schon 2008 für Sat.1 DDR-Geschichte in Unterhaltung verpackt. Man hat den Eindruck, dass er eigentlich lieber einen CIA-Thriller machen wollte, sich aber mit der Stasi begnügen musste. Hauptdarstellerin Anna Loos stapft mit verkniffenem Gesicht durch den Film, als suche sie, wie man selbst, zunehmend verärgert nach dem roten Faden. Die Auflösung am Ende scheint selbst den Figuren egal zu sein.