„Eine Makkabiade ist menschlicher als eine WM“

JÜDISCHER SPORT Sarah Poewe und Rebecca Landshut sind deutsche Jüdinnen – und Spitzensportlerinnen. Bei den European Maccabi Games im Sommer sind beide dabei. Erstmals wird das jüdische Sportfest in Deutschland stattfinden: in Berlin, auf dem Gelände der Nazi-Olympiade von 1936

Die Schwimmerin war 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen die erste jüdische Athletin seit 1936, die eine Medaille für Deutschland gewann: Bronze mit der Lagenstaffel. Poewe, die in Südafrika geboren wurde, startete viermal bei Olympischen Spielen, wurde siebenmal Europa- und siebzehnmal Deutsche Meisterin.

taz: Frau Poewe, bei den European Maccabi Games sind Sie Patin. Wollen Sie dann noch mal auf den Startblock klettern?

Sarah Poewe: Nein, ich habe vor zwei Jahren meine Karriere beendet und mit dem Leistungssport aufgehört.

Sie halten immerhin noch den deutschen Rekord über 100 Meter Brust. Hätten Sie denn Chancen auf einen vorderen Platz, wenn Sie noch mal antreten würden?

Das weiß ich nicht. Wie gesagt: Ich trainiere nicht mehr.

Was bedeutet Ihnen dieses jüdische Sportfest, auch wenn sie nur als Patin dabei sind?

Ich wurde schon während meiner aktiven Zeit öfter gefragt, ob ich nicht an der Makkabiade in Israel teilnehmen will. Das hat leider nie geklappt: Ich hatte ja viele Verpflichtungen, hatte damals in den USA gelebt und studiert. Nun habe ich Zeit, und es ist für mich eine sehr große Ehre, die Maccabi Games als Patin repräsentieren zu dürfen.

Inwiefern?

Die Maccabi Games haben für jüdische Sportler eine sehr große Bedeutung. Ich lebe meine Religion zwar privat, aber selbstverständlich stehe ich zu ihr. Und es ist ein historisches Ereignis, wenn so viele jüdische Sportler in Berlin zusammenkommen.

Berlin als Austragungsort ist ja historisch belastet. Es ist die Stadt, in der die Schoah beschlossen, geplant und logistisch organisiert wurde.

Ich habe nur einen kleinen Teil meines Lebens in Deutschland verbracht. die ersten drei Jahre in Kiel, dann sind wir nach Südafrika. Dann habe ich in den USA gelebt und erst seit drei Jahren wieder in Deutschland. Da nehme ich diesen Aspekt vielleicht weniger wahr als Juden, die immer in Deutschland lebten.

Gibt es einen besonderen jüdischen Aspekt im Sport?

Ich glaube nicht. Man sollte differenzieren. Sport hat mit Religion in dem Moment, in dem man ihn betreibt, nichts zu tun und sollte damit auch nicht verbunden werden. Bei Sport geht es um Leistung, nicht um Herkunft und anderes. In diesem Sinne bin ich auch erzogen worden. Mein Vater ist ein deutscher Evangelist, meine Mutter eine südafrikanische Jüdin. In diesem sehr gemischten Elternhaus habe ich gelernt, dass ich alle Religionen achten und respektieren soll.

Haben die Maccabi Games als ein Treffen jüdischer Athleten also weniger mit Leistungssport zu tun?

Nein, so kann man das nicht sagen. Es zählt die Leistung, aber alle starten unter demselben Begriff „Maccabi Games“. Es kommen jüdische Sportler, auch Spitzensportler, aus aller Welt zusammen, um gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Dass diese Veranstaltung in Deutschland stattfinden kann und wird, ist für mich wunderbar. Es kann sein, dass Ältere vielleicht ein unangenehmes oder zwiespältiges Gefühl dabei haben. Aber mir selbst geht es anders.

Nämlich?

Es ist mir eine Ehre, Teil eines so großen historischen Moments zu sein, wie ich ihn wahrscheinlich in meinem Leben nicht noch einmal erleben werde. Darauf freue ich mich sehr.

INTERVIEW: MARTIN KRAUSS

taz: Frau Landshut, Sie waren schon zweimal bei der Makkabiade in Israel dabei. Wo ist der Unterschied zu einer Weltmeisterschaft?

Rebbecca Landshut: Eine große Besonderheit der Maccabi Games, sowohl in Israel als auch in Europa, ist, dass man sich vorher nicht kennt. Bei der Nationalmannschaft kennen sich alle Spielerinnen von den Klubs aus der Bundesliga. Bei der Makkabiade muss man als Team zusammenwachsen. Es geht da weniger um Hockeyaspekte als darum, dass wir ein Team werden. Vielleicht kann man sagen: Die Makkabiade ist menschlicher.

Die Makkabiade findet ja alle vier Jahre in Israel statt. Sind die European Maccabi Games im Sommer in Berlin eine Art Abklatsch?

Nein. In Israel ist es für uns ja so, als ob wir alle nach Hause kämen. Das Verhältnis von weltweiter Makkabiade zu European Maccabi Games können Sie ruhig mit dem von Welt- zu Europameisterschaften vergleich: dasselbe Turnier, derselbe Spirit, aber eben nur auf europäischer Ebene.

Die Hockeyspielerin war in der Halle 2011 Welt- und 2012 Europameisterin und wurde zur europäischen Hockeyspielerin des Jahres 2012 gewählt. In der Bundesliga spielt sie für den Münchner SC. 2009 und 2013 war Landshut mit der deutschen Auswahl bei der Makkabiade in Israel, 2011 bei den European Maccabi Games in Wien.

Die European Games finden erstmals in Deutschland statt. Was bedeutet das?

Zunächst ist es eine schöne Gelegenheit, zu zeigen, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt, welches wir Juden aus aller Welt zeigen können – das ist historisch einmalig. Deutschland hat sich zu einem freien Land entwickelt. Christen, Muslime, Juden, Buddhisten – alle können hier leben, und das wollen wir zeigen. Ich bin gewiss nicht der politischste Mensch, aber das steht für mich fest: 70 Jahre nach der Schoah ist es ein Land geworden, das sich vorzeigen lässt.

Warum gibt es überhaupt ein eigenes Sportfest für Juden?

Manchmal antworte ich darauf so: „Wir wollen halt auch mal gewinnen.“ Allzu viele jüdische Weltklasseathleten gibt es ja nicht in der Sportgeschichte; den meisten fällt immer nur Mark Spitz ein. Aber die Frage lässt sich auch ernsthaft beantworten: Dadurch, dass Juden historisch oft aus dem Sport ausgeschlossen wurden, nicht an Wettkämpfen teilnehmen durften, war es ja sehr naheliegend, dass wir unsere eigenen Turniere organisierten. Es geht also bei dem Makkabiade-Gedanken nicht um Ausgrenzung, sondern es ist eine Reaktion auf Ausgrenzung. Und es geht auch darum, dass sich junge Juden aus aller Welt treffen.

Ist das ein hochklassiger Wettkampf oder ein jüdisches Fest?

Es hat von beidem etwas. Bei Einzelsportarten sind oft hervorragende Athleten am Start, die mit Spitzenleistungen aufwarten. Bei Mannschaftssportarten ist es schwieriger: Jeder, der ein bisschen Hockey spielen kann und jüdisch ist, ist herzlich eingeladen, bei uns mitzumachen. Wir hatten für die Makkabiade 2013 alle Vereine angeschrieben – und gerade mal 20 Spielerinnen hatten sich gemeldet.

Ist Ihnen im Hockey schon Antisemitismus begegnet?

Nein. Nie. Auch in meinem Freundeskreis, wo wir über alles diskutieren und wo auch mal sehr kritische Ansichten über Israel gesagt werden, ist mir das noch nicht begegnet.

INTERVIEW: MARTIN KRAUSS