KOMMENTAR VON BERND PICKERT ZUM URTEIL ÜBER BRAD MANNING
: Milder als erwartet, aber dennoch unverhältnismäßig

Wer in Uniform Verbrechen begeht, wird geschützt. Wer sie aufdeckt, wird verfolgt

Mit einem Strafmaß von 35 Jahren Haft für den Wikileaks-Informanten Bradley Manning ist die zuständige Militärrichterin weit hinter dem von der Anklage geforderten Strafmaß zurückgeblieben. Wenn das Urteil so Bestand hat und Manning sich in der Haft gut führt, kann der heute 25-Jährige mit Mitte 30 wieder frei sein.

Für Manning und seine Unterstützer ist das eine gute Nachricht – aber wahrlich kein Anlass zum Jubel. Sicher: Kein Staat der Welt kann bei einem solchen Geheimnisverrat auf seinen Strafanspruch gänzlich verzichten. Aber selbst wenn das Urteil im Vergleich zu seiner möglichen Höhe – bis zu 90 Jahre Haft waren möglich – mild ausgefallen ist: Vergleicht man das Vorgehen der Staatsgewalt gegen Manning, Edward Snowden und andere Whistleblower mit der Strafverfolgung jener Kriegsverbrechen und Verfassungsverstöße, die von ihnen aufgedeckt wurden, dann sind auch die „nur“ 35 Jahre für Brad Manning vollkommen unverhältnismäßig.

Etliche Verbrechen, nachzulesen in den von Manning an Wikileaks weitergereichten „War Logs“ aus den Kriegen in Irak und Afghanistan, wurden bis heute überhaupt nicht verfolgt. Und wo das doch geschah, etwa im Fall der gefolterten Gefangenen von Abu Ghraib, fielen die Strafen für die Verantwortlichen gänzlich harmlos aus. Sie alle waren nach kurzen Haftstrafen wieder frei.

Man müsse klare Signale setzen, hatten die Militärankläger vom Gericht gefordert. Genau das ist auch passiert: Wer in Uniform Verbrechen begeht, kann auf Schutz hoffen, wenn nur die Öffentlichkeit nichts davon erfährt. Wer diese Verbrechen aufdeckt und eben öffentlich macht, wird verfolgt. Das ist kein Recht – das ist die Perversion des Rechts. Nein, die USA sind keine Diktatur. Aber in der Frage der Deckelung von im Staatsdienst begangenen Verbrechen verhalten sie sich, als wären sie eine.

Leider, das hat zumindest die bisherige Geschichte gezeigt, kommen sie damit gut durch. Trotz NSA-Skandal und Drohnenkrieg lebt Präsident Barack Obama noch immer vom Nimbus, dass er ja nicht mit all dem angefangen hat, sondern sein Vorgänger George W. Bush. Die Verantwortlichen aus dessen Regierungszeit zur Verantwortung zu ziehen begreifen viele als irgendwie anrüchige Rachejustiz – so was macht man nicht. Müsste man aber. Nicht aus Populismus. Sondern weil es gerecht wäre.