Zu viel Zielgruppe

THEATER Mit „Die Durstigen“ geht das Moks in Sachen Jugendtheater in die Vollen – verliert dabei allerdings an Vielfalt und Phantasiereichtum

Murdoch springt vom Seziertisch und schreit los. Nicht, weil er nicht zerschnippelt werden möchte – tot ist er in der Tat erst später. Nein: Er flucht und zetert, weil das Leben totale Kacke ist und er heute „mit dem Kannibalenfuß“ aufstand. Christopher Ammann als Murdoch schimpft seinen 17-jährigen Frust heraus, dass es einerseits eine Freude ist. Und andererseits ein Dauer-Furiosum.

Das Moks spielt verstärkt Jugendstücke wie „Die Durstigen“ von Wajdi Mouawad, das jetzt unter der Regie von Konradin Kunze Premiere hatte. „Sie haben’s nicht im Griff, aber davon scheint ihnen nicht der Schwanz zu schrumpeln“, schreit Murdoch seinen Lehrer an, beschlagnahmt das Publikum als spießige Bus-Insassenschaft und macht aus seinem Durst nach Sinn eine pauschale Kriegserklärung an die Erwachsenenwelt.

Der Plot ist nichtsdestoweniger wunderbar vertrackt: Er wird aus Sicht eines Gerichtsanthropologen erzählt (Simon Zigah, mittlerweile zum Glück fest am Moks), der zwei eng verschlungene Uralt-Leichen identifizieren soll. Dazu gibt es eine Musik der Berliner Film- und Theaterkomponistin Octavia Crummenerl, die mit Szene und Aktion derart gut verschmilzt, dass sie trägt, ohne in irgendeiner Weise aufdringlich zu sein, und eine Top-Ausstattung von Léa Dietrich.

Der männliche Teil des „untrennbaren Fleischklumpens“ erweist sich als Murdoch, der weibliche heißt Norwegen – ein Mädchen, das sich der Anthropologe mal selbst als theatrales Sinnbild für die Dualität von schön und hässlich ausdachte. Doch kaum hat man sich das alles zurecht gerätselt, taucht Norwegen tatsächlich auf – und erzählt ihren Part noch mal von vorn: Wie in ihrem Bauch plötzlich ein hässliches Wesen steckte, der Beweis, eine wabblig-weiße Krake, wird dem Publikum entgegen gestreckt. Eine solche Explizitheit, das Auserzählen des Stoffes aus allen Richtungen, ist typisch für viele Spielarten des Jugendtheaters, nicht aber fürs Moks. Das brilliert in der Regel mit Anregungen und Verweisen, die als Konstruktion im Kopf des Zuschauers ihre größte Wirkung entfalten.

Ein Indikator des Erfolgs dieser Theaterhaltung ist, dass Erwachsene im Moks nie das Gefühl haben, Kinder- oder Jugendtheater zu sehen. Bei „Die Durstigen“ ist das anders. Warum sonst endet die Inszenierung Roadmovie-mäßig mit einem Trash-Song – „I don’t want to grow up“ –, der unter einer hin und her gezupften Plastikplane performed wird? Weil Pop-Rebellentum cool ist. Aber das Moks ist viel mehr. HENNING BLEYL