„Der verarscht dich doch“

Er studierte mit Horst Jansson, Harry Rowohlt und Eckhard Henscheid bewundern seinen bizarren Humor. Trotzdem ist der Hamburger Künstler Heino Jaeger nie wirklich bekannt geworden. Heute wird im St. Pauli Theater eine Hommage für Jaeger gegeben. In der taz nord huldigen ihm drei Freunde

Rocko Schamoni, 41, wurde als Punkmusiker mit den Goldenen Zitronen bekannt. Er ist Mitglied der Comedy-Gruppe Studio Braun und betreibt mit Schorsch Kamerun den Golden Pudel Club in Hamburg -Altona.

Interviews: VOLKER HUMMEL

taz: Herr Schamoni, hat sich Ihnen die Jaegersche Komik gleich beim ersten Hören erschlossen?

Rocko Schamoni: Ja, ich habe mich gleich in Jaeger verliebt. 1990 lieh mir ein Bekannter Vinyl-Weißpressungen mit Heino-Jaeger-Material. Als ich mir die anhörte, ging ich gleich an die Decke, so bizarre Hörspiele hatte ich nie zuvor gehört. Die Sachen waren aus seiner Spätphase, als er schon leicht verrückt war. Das war so abwegig und bar jeder Pointe, dass es niemals im Radio gelaufen wäre, und das gefiel mir.

Waren Sie dann enttäuscht, als Sie seine früheren Aufnahmen hörten?

Hätte ich ihn in den 70ern über seine Radiosendungen kennengelernt, hätte ich ihn wohl für einen ganz normalen Gag-Vogel gehalten, einiges ist ganz eindeutig NDR-Humor von 1978. Aber auch viele seiner älteren Sachen sind absolut zeitlos. Wenn er groteske Situationen nimmt und sich dann sprachlich mäandernd in den vollkommenen Wahnsinn hineinbewegt, kann man nicht erkennen, aus welcher Zeit das stammt.

Interessiert Sie das grafische Werk von Heino Jaeger?

Bis vor zwei Jahren wusste ich nicht mal, dass er auch als Maler bedeutend ist. Vor kurzem dann habe ich bei einer Ausstellung seine Bilder gesehen, und seitdem ist sein Werk als darstellender Künstler für mich fast noch wichtiger als seine Wortschöpfungen. Er lernte ja zeitgleich mit Horst Jansson bei Alfred Mahlau an der Hamburger Kunsthochschule und hat einen ähnlich genialischen und sicheren Strich wie Jansson, nur dass Jaeger weitaus komischer, härter und tiefer mit seinen Sujets umging. Der hat wirklich verrückte Sachen gemacht. Ich habe mir gerade eine Zeichnung von ihm gekauft.

Warum ist Jaeger nicht berühmt geworden?

Er war nicht einzuordnen. Er hat sich verweigert und sich nicht verständlich gemacht, er ist nicht in die großen Sendungen gegangen, sondern hat nur seinen eigenen Kosmos bearbeitet. Er war nicht im geringsten kompatibel mit den Marktmechanismen. Das ist natürlich einerseits tragisch, aber auf der anderen Seite macht ihn das wahnsinnig attraktiv und großartig. Das war jemand, der sich nicht hat verzehren lassen. Dafür bewundere ich ihn sehr.

Stimmt es, dass Sie über Jaeger einen Film machen wollen?

Ja, seit ungefähr einem Jahr plane ich mit Lars Jessen, einen Spielfilm über das Leben Heino Jaegers zu machen. Mir geht es dabei um eine ganz bestimmte Zeit, in der sich die Wege vieler besonderer Hamburger Figuren kreuzten, Menschen wie Norbert „Boxpinz“ Grupe, Wolfgang „Wolli“ Köhler, Hubert Fichte und Heino Jaeger. In deren Umfeld etablierte sich zwischen 1970 und 1976 eine der wichtigsten Musikszenen Deutschlands. Das ist für mich eine goldene und bislang noch unerzählte Ära deutscher Pop- und Kulturgeschichte, in der wahnsinniges Material steckt.

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taz: Herr Pintschovius, wie haben Sie Heino Jaeger kennen gelernt?

Joska Pintschovius, war der engste Freund von Heiko Jaeger und in den letzten Jahren dessen Vormund. Seine Jaeger-Biografie erschien in dem Sammelband „Man glaubt es nicht“.

Joska Pintschovius: Das war Mitte der 60er Jahre in Schleswig, wo wir beim Landesmuseum arbeiteten. Er schlich damals immer mit einem urtümlichen Mantel durch die Flure, der aus Krankenhausdecken während des Krieges gemacht worden war. Irgendwann gingen wir dann mal gemeinsam essen. Er wohnte in einem evangelischen Stift und beim ersten Treffen erzählte er von seinem Nachbarn, der in seinem Raum ständig auf und ab ging und sagte: „Ist das schrecklich.“

Welche Wirkung hatte Jaeger auf Menschen?

Der normale Bürger war verunsichert von ihm. Man konnte ihn nicht in die Künstler-Schublade stecken, denn er führte sich nicht auf wie einer. Er sprach ganz normal mit einem, aber plötzlich schwante einem: Der verarscht dich doch. Das war Jaeger selbst gar nicht bewusst. Ich war diesem Mann richtiggehend verfallen, weil er unglaublich amüsant war. Man lernte durch ihn, die Umgebung genauer zu beobachten – wir nannten uns „die Röntgengeräte“. Das war zum Teil qualvoll, aber auch sehr bereichernd. Diese Genauigkeit, auch in seinen Kritiken und Urteilen, verunsicherte die Menschen.

Wie setzte er seine Beobachtungen künstlerisch um?

Im Grunde war er der begabtere Maler. Am Anfang stand bei ihm die Aufnahme visueller Eindrücke, die er hinterher genau wiedergeben konnte, er hatte die Gabe eines Eidetikers. Er malte also nicht nach der Natur, sondern nach dem, was er sich im Kopf zusammengestellt hatte. Bei diesem Vorgang entstanden dann auch die Geschichten. Sie sind keine Satiren, keine Kabarett- Texte, sie sind noch nicht mal komisch im eigentlichen Sinne, es sind wiedergegebene Bilder.

Arbeitete Jaeger an seinen Geschichten?

Überhaupt nicht, sie entstanden spontan und er hat sie auch nicht aufgeschrieben. Das kam erst später, als er anfing, für den Rundfunk zu arbeiten. Am witzigsten sind aber seine Stegreifgeschichten, die manchmal nur so aus ihm heraussprudelten. Ich habe einige davon mitgeschnitten, die müssen unbedingt auch noch veröffentlicht werden.

Was inspirierte Jaeger?

Merkwürdige Typen, Monomanen, Spinner. Mit denen kamen wir ja aufgrund der Museumsarbeit oft in Berührung, wir besuchten sie und sahen und hörten ihnen zu. Bei vielen Figuren seiner Radiosendung „Dr. Jaeger antwortet“ weiß ich genau, welche Menschen als Inspiration dienten. Nur dass sie Jaeger sie miteinander zu neuen und noch viel abstruseren Figuren verband.

Wonach suchten Sie auf Ihren gemeinsamen Reisen?

Es ging um Stimmungen. In Paris, London oder Belgien suchten wir nur ganz bestimmte Gegenden auf, wir fuhren nur mit bestimmten Zügen. Die Gründerzeit um 1900 war für uns der Höhepunkt der europäischen Kultur. In diese tauchten wir stimmungsmäßig ein und beklagten die Nachkriegspopeligkeit der Deutschen.

Frank Schulz, 50, in Hamburg lebender Schriftsteller, schrieb „Kolks blonde Bräute“, „Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien“ und zuletzt „Das Ouzo-Orakel“.

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taz: Herr Schulz, wann haben Sie Heino Jaeger für sich entdeckt?

Frank Schulz: Zum ersten Mal habe ich ihn in den 70er Jahren im Radio gehört. Damals war ich wohl noch zu jung und dumm, jedenfalls hatte es da noch nicht so recht gezündet. Dann gab es eine zweite Stufe Anfang der 80er, als mir ein Freund ein Jaeger-Stück auf Platte vorspielte. Da war ich schon viel interessierter, bin dem aber auch noch nicht weiter nachgegangen. Die dritte und entscheidende Stufe kam 1991. Ein damaliger Kollege von mir war ein Riesenfan von Jaeger, und diese Neubegegnung führte zu intensiverer Beschäftigung und letztlich Verehrung.

Gab es damals noch viele andere Fans?

Es gab mehrere kleine Zirkel, in dem Kassetten mit Aufnahmen seiner vergriffenen Platten et cetera weitergereicht wurden. Sobald einer Feuer fing, ergab sich sofort ein Kontakt zu einem anderen Jaeger-Fan, der wieder einen anderen kannte und so weiter.

War das Publikum seiner Zeit zu beschränkt für den Humor Jaegers, wie Eckhard Henscheid behauptet?

Möglich, aber ich würde das damalige Publikum nicht verteufeln, nur weil es an den falschen Stellen lachte. Vielleicht muss man, um Jaeger vollständig zu verstehen, in einen bestimmten Rezeptionsmodus geraten. Es gibt ja kaum klassische Pointen bei ihm, da ist es möglich, dass das Gelächter mit Verzögerung kommt – quasi nach einer gewissen Akkumulation.

Wenn Leute wie Olli Dittrich, Harry Rowohlt und Rocko Schamoni heute Abend zusammenkommen, um sich vor einem ihrer Vorbilder zu verneigen, sollte man denken, es mit einem der bekanntesten Humoristen des Landes zu tun zu haben. Doch Heino Jaeger ist nur den wenigsten ein Begriff, seinen 70. Geburtstag am 1. Januar hat mal wieder kein Schwein bemerkt. An der Unzugänglichkeit seines Werks kann es nicht mehr liegen, zwei CDs und ein wunderbares Buch sind mittlerweile herausgekommen und bezeugen seine grafischen und rhetorischen Geniestreiche dieses Künstlers, der in Hamburg-Harburg geboren wurde und 1997 in einem Sozialpsychiatrischen Heim in Bad Oldesloe starb. Was Heino Jaeger zu einem „unerreichten Virtuosen“ (Olli Dittrich) machte, ist seine Gabe der Erinnerung. Sie erlaubte es ihm, Gesehenes und Gehörtes exakt zu reproduzieren und mit einem Schuss Jaegerschen Wahnsinn zu etwas Neuem zu vermischen. Die heutige „Hommage für Heino Jaeger“ soll an einen der größten deutschen Sprachkünstler erinnern. VH

„Hommage an Heino Jaeger“, 14. Januar, 20 Uhr, St. Pauli Theater Heino Jaeger: “Lebensberatungspraxis Dr. Jaeger“ & „Alkoholprobleme in Dänemark, Kein & Aber Records Heino Jaeger/Joska Pintschovius: „Man glaubt es nicht“, Rowohlt

Was fasziniert Sie an Jaegers Umgang mit Sprache?

Gesprochene Sprache ist für mich etwas sehr Vitales, etwas Umfassendes, hat mit Libido und Schönheit und Heimat zu tun. Und Jaeger besaß die erstaunliche Fähigkeit, Gehalt und Ton gesprochener Sprache genau wiederzugeben. Er spulte sie aber nicht wie ein Aufnahmegerät ab, sondern berücksichtigte alle geistigen und emotiven Aspekte des Gehörten und gab sie durch Betonungen, Pausen, sanfte Übertragungen und leichte Verrückungen auf eine Art und Weise wieder, dass man manchmal aus der Haut fahren möchte vor lauter Begeisterung.

Hat Jaeger Ihr Schreiben beeinflusst?

Es ist eigentlich nicht so, dass ich Jaeger gehört und daraufhin „meinen Stil“ entwickelt hätte. Vielmehr habe ich in ihm den wahren Meister dessen entdeckt, was ich mit beschränkteren Mitteln tat – als Jugendlicher, als ich mit einem Freund die Hagener Dorfhonoratioren nachäffte, wie später als Debütant, als ich in „Kolks blonde Bräute“ meine Figuren durch ihre Sprachgewohnheiten charakterisierte. Erst in „Morbus fonticuli“ habe ich Heino Jaeger ganz bewusst als Leitmotiv eingearbeitet.

Was sehen Sie als Quelle von Jaegers Humor: Melancholie oder Lebensfreude?

Ich fürchte, als Quelle lässt sich das nicht trennen. Schließlich gibt es für Lach- und Weintränen auch nur eine Drüse.