Kommentar Nazi-Aufmarschverbot am 1. Mai: Politisch und strategisch falsch

Die Stadtoberen in Hannover wären besser beraten gewesen, die Neonazis in der Innenstadt kurz marschieren zu lassen und sie ohne Gefahr für andere wieder aus der Stadt herauszueskortieren.

Was für eine verheerende Entscheidung: Die Stadt Hannover verbietet einen Aufmarsch von Rechtsextremisten. Und während 20.000 Nazigegner in der niedersächsischen Landeshauptstadt diesen juristischen Sieg über die Rechtsextremisten feiern, attackieren 300 besonders gewaltbereite Neonazis aus dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten" mit Steinen, Flaschen und Holzlatten eine DGB-Kundgebung in Dortmund. Man kann nur von Glück sprechen, dass die Neonazis die völlig überraschten Gewerkschafter und Polizisten nicht noch viel übler zugerichtet haben. Zuzutrauen wäre es diesen Rechtsextremisten allemal.

Nicht nur aus demokratietheoretischen Erwägungen ist diese Verbotsentscheidung äußerst fragwürdig. Denn dieses Vorgehen bestätigt die Neonazis vor ihren Anhängern in der Annahme, ihnen würden fundamentale Grundrechte verweigert. Aber auch strategisch ist diese Verbotsverfügung falsch.

Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre dachte sich so manch eine Stadt, das Problem der sich damals häufenden Neonazi-Aufmärsche am 1. Mai könne man mit einem simplen Verbot loswerden. Schon damals war das ein Trugschluss. Mit massiven Polizeiaufgeboten gelang es zwar mehr oder weniger, die Aufmärsche in der jeweiligen Stadt zu verhindern; doch Antifas und Neonazis lieferten sich ein Katz-und-Maus-Spiel auf den Autobahnen, und die Einsatzkräfte mussten ihnen mit großem Aufwand hinterherjagen. Leidtragende waren die anderen: In den kleinsten Käffern tauchten plötzlich Rechtsextremisten auf und versetzten die unvorbereitete Bevölkerung in Angst und Schrecken.

Warum die Stadtoberen in Hannover zum diesjährigen 1. Mai dennoch alles darangesetzt haben, die Verbotsverfügung auch vor dem Bundesverfassungsgericht durchzudrücken, und zwar mit dem recht fadenscheinigen Argument, sie könnten bei einem Aufmarsch die Sicherheit nicht gewähren, ist unverständlich. Sie wären besser beraten gewesen, die Neonazis in der Innenstadt kurz marschieren zu lassen und sie ohne Gefahr für andere wieder aus der Stadt herauszueskortieren.

Solange 20.000 Menschen in unmittelbarer Nähe den marschierenden Rechtsextremisten Kontra geben, hält sich der politische Imageschaden für eine Stadt wie Hannover allemal in Grenzen.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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