Kommentar Kirche und Missbrauch: Der Fall des Katholizismus

Der Skandal um pädophile Priester wird die katholische Kirche verändern. Ihre Autorität hat sie schon heute verloren.

Das Lautwerden der zahlreichen Opfer bringt die letzte strikt autoritär strukturierte Institution unserer Zivilgesellschaft in Zugzwang: die katholische Kirche. Denn nun ist auch ihr Oberhaupt, also die Inkarnation der höchsten, unangreifbaren Autorität, einer weltlichen Kritik ausgesetzt, die sie nicht mehr ignorieren kann. Papst Benedikt stimmte in seiner Funktion als Erzbischof von München dem Umzug eines pädophilen Priesters in sein Bistum zu. Er hat ihn damit, so scheint es im Moment, ohne besondere Absicht, mithin routinemäßig, gedeckt.

Die Kollateralschäden, die dieses Eingeständnis verursacht, sind noch nicht abzusehen. Die Freunde der katholischen Lehre und Institution legen sich nun natürlich ins Zeug und weisen zu Recht darauf hin, dass Missbrauch überall in unserer Gesellschaft stattfindet, keineswegs nur in katholischen Pfarreien und Erziehungsanstalten. Der entscheidende Unterschied aber besteht darin, dass die katholische Kirche ihre gewalttätigen Priester bis heute systematisch geschützt hat.

Ein weltlicher Lehrer, der seine Schüler missbraucht, gar dafür verurteilt wird, findet keinen Job als Pädagoge mehr. Die katholische Kirche hingegen hat für sich bislang immer das Recht in Anspruch genommen, "die Dinge" selbst zu regeln. Sie folgte damit der Überzeugung, dass die von ihr geweihten Männer eine Autorität verkörpern, die über jede weltliche Kritik erhaben ist. Sie ist damit die letzte zivile Institution, die ihre Amtsträger mit dem Selbstverständnis ausstattet, ihre Entscheidungen stünden stets über den Empfindungen der Schutzbefohlenen - und auch über deren Recht auf (sexuelle) Selbstbestimmung.

Und genau diese Ideologie stellt sie nun endlich in offenen moralischen Widerspruch zur deutschen Gesellschaft. Sie ist 2010 so wenig haltbar wie das daraus abgeleitete Prinzip der Top-down-Kommunikation im Sinne von "Was ich will, geschehe, und du bist still". Zum Glück hängt nur noch das Militär dieser autoritären Weltauffassung an - und sein Rechtsverständnis steht ja per definitionem dem Zivilrecht entgegen.

Dass die katholische Kirche jetzt unter Reformdruck gerät, ist kein Zufall. Die deutsche Gesellschaft pflegt zunehmend die Idee, Kinder als Gesprächspartner zu behandeln. Wir merken das im Supermarkt, wenn Eltern ihren Nachwuchs vom Süßwarenregal wegziehen und dabei nahezu ausnahmslos das Wort "bitte" im Mund führen.

Wir merken es in dem Ringen um eine Grundschule ohne Noten und auch daran, dass sich eine Erkenntnis immer weiter durchsetzt: Kinder, deren Selbstwertgefühl von Erwachsenen zerstört wurde, werden später keine belastbaren Leistungsträger sein. Die Devise "Was dich nicht umbringt, härtet dich ab", verfängt nicht mehr. Entsprechend hoch ist die Sensibilität der Mittelschichten, ihre Kinder vor brutalem Erziehungspersonal zu schützen. Und über gemachte Gewalterfahrungen zu sprechen.

Diesen Sinneswandel muss nun auch die katholische Kirche ihren Vertretern nahebringen. Bei vielen, zumal auf den unteren Ebenen, dürfte sie offene Türen einrennen. Bei Papst Benedikt hingegen gibt es derzeit keine Anzeichen für ein solches Umdenken. Generell hat der Geistliche in seinem 83-jährigen Leben wenig Erfahrung mit dem Prinzip Kommunikation gesammelt.

Er zog es vor, seine Überzeugungen zu dekretieren. Zuhören und dialektisches Denken sind ihm keine vertrauten Kulturtechniken. Auch jetzt schweigt er. Seine Wortlosigkeit aber bezeugt vor allem eines: Der Versuch, den Patriarchen alter Schule als Modell auch ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten, ist gescheitert. Passende Worte lassen sich für ihn nicht mehr finden.

Diese fand der Mann, der in seinem aktuellen Film "Das weiße Band" das Phänomen der missbrauchenden Autorität auseinandernimmt. So sagte Michael Haneke weise: "Ich bin ein Realist. Und ein Realist kann nur angenehm überrascht werden." Die angenehme Überraschung, die all die grausamen Geschichten von machttrunkenen Pädagogen bewirken, ist: In diesem Fall wird die öffentliche Empörung dazu führen, dass die katholische Kirche hierzulande menschenfreundlicher werden wird. Sie wird neu definieren müssen, was geistliche Autorität bedeutet.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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