Kommentar Demo-Sprengsatz: Bitte abrüsten!

Kein harmloser Böller, aber auch keine Splitterbombe. Der Sprengsatz auf der Berliner Demonstration gegen das Sparpaket war mehr als eine Dummheit - aber kein Fanal für eine neue RAF.

Was für ein Irrsinn: Da könnte das Klima für eine Demonstration gegen Sozialabbau nicht günstiger sein - und dann zündet jemand aus der Menge heraus einen Sprengkörper, verletzt mehrere Polizisten und heizt damit nicht die Debatte um die Ungerechtigkeit des Sparpakets an, sondern die Debatte um Gewalt von links. Na bravo.

Was für ein Irrsinn aber auch in Politik und Medien: Unionspolitiker und Teile der Presse beschwören nach der hässlichen Tat eine Neuauflage des roten Terrorismus der 1970er Jahre. Von einem "Comeback des linken Terrors" ist die Rede, ausgelöst durch einen angeblichen "Splitterbomben"-Anschlag.

Alles, was bisher bekannt ist, gibt solche Einschätzungen nicht her. Der Hintergrund der Tat auf der Demonstration am Wochenende in Berlin ist nach wie vor unklar. Klar ist nur: Dort wurde kein harmloser Böller gezündet. Es wurden Menschen verletzt. Eine "Splitterbombe" wurde aber auch nicht geworfen. Und genauso wenig ist eine neue RAF in Sicht.

Schnell wird unterstellt, man relativiere durch solche Sätze linke Gewalt. Das ist Quatsch, und man sollte auch nicht die Augen verschließen vor dem, was es an Entwicklungen in der linksextremen Szene gibt. Die Zunahme von Gewalttaten, vor allem im Jahr 2009, ist real. Von einem Zuwachs von mehr als fünfzig Prozent auf 1.820 Taten spricht die Polizei. Darunter ein brutaler Überfall von 20 Autonomen auf eine Polizeiwache in Hamburg. Da ist etwas mehr als faul. Das ist Menschenverachtung.

Doch wenn Unionspolitiker nun - ohne dass entscheidende Fakten auf dem Tisch liegen - einen auf einer Demo explodierten Sprengkörper zum Anlass nehmen, einen neuen "Linksterrorismus" heraufzubeschwören, dann ist das unlautere, bewusste Panikmache. Und das Kalkül dahinter ist leicht zu durchschauen.

Man möchte ablenken von der Krise der schwarz-gelben Regierung, von der eigenen Unfähigkeit, ein gerechtes Sparpaket zu schnüren. Ein bisschen Terrorangst zu schüren scheint da ein geeignetes Mittel.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière wollte bei Amtsantritt ein Minister mit Augenmaß sein. Der Minister für "inneren Frieden" und "öffentliche Sicherheit", der die Gefahren im Blick hat, aber keine unnötigen Aufgeregtheiten verbreitet. Jetzt wäre Augenmaß gefragt. Bitte abrüsten!

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Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.

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