Nachdenken über Christa W.

LITERATUR Sie war ein Kulturdenkmal – eines, das nach der Wende viele stürzen wollten. Mit Christa Wolf ist die wichtigste deutsche Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts gestorben

BERLIN taz | Ihre Lesungen waren öffentliche Ereignisse, bis zuletzt. Ihre Romane und Essays erreichten schwindelerregende Auflagen. Die Titel ihrer Bücher – wie „Der geteilte Himmel“, „Kein Ort nirgends“, „Kindheitsmuster“ oder „Nachdenken über Christa T.“ – wurden zu geflügelten Worten. Es gibt wohl keine Feministin, die nicht in ihr Buch „Kassandra“ geguckt hätte, keinen Atomkraftgegner der Tschernobylzeit, der nicht ihren Bericht „Störfall“ aufgeschlagen, keinen Bürgerrechtler der späten DDR, der sich nicht an ihrer Person und ihren Werken abgearbeitet hätte. Christa Wolf, die bedeutendste deutsche Schriftstellerin der letzten 50 Jahre, ist am Donnerstag im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben.

Sowohl die politischen Verwerfungen und Träume des 20. Jahrhunderts als auch die deutsch-deutsche Geschichte sind durch dieses Leben und dieses literarische Werk hindurchgegangen. Eine Zeit lang galt die am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geborene Schriftstellerin geradezu als – übrigens: gesamtdeutsches – Kulturdenkmal. Nach Wende und Wiedervereinigung kam es zu Ansätzen eines breit angelegten Denkmalsturzes. Nachträglich wurde sie in den Neunzigerjahren als eine Art Staatsdichterin der DDR abgestraft. Die Schriftstellerin Christa Wolf und die öffentliche Figur waren nicht auseinanderzuhalten. Ihr literarisches Werk wird bleiben. Ein gutes Stück der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist darin enthalten. DRK

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