ÜBER DIE TOTEN VON NEWTOWN
: Eine nationale Pathologie

Wenn Obama Massaker verhindern will, muss er mehr tun, als Mitgefühl zu zeigen

Nach Newtown findet einmal mehr das makabre Ritual statt, das auf jede tödliche Schießerei in den USA folgt. Die sekundengenaue Rekonstruktion des Massakers. Die tiefen Einblicke in die Leben der Toten. Der Zoom auf die Leiden der Hinterbliebenen. Die Suche nach Helden. Und die große Frage nach dem Sinn: Warum erschießt jemand so viele wehrlose Menschen?

Diese Fragen müssen gestellt werden. Und sie werden voraussichtlich wieder zu einem beunruhigenden Ergebnis führen, mit einem gestörten jungen Mann im Zentrum. Ausgebliebener Hilfe. Und Angehörigen, die Warnsignale nicht verstanden haben.

Doch jenseits des individuellen Zustands des Täters existiert in den USA eine nationale Pathologie. Eine Selbstverständlichkeit der Legalität von Schusswaffen, wie sie nirgendwo sonst in der Welt existiert. 2012 befanden sich rund 270 Millionen Schusswaffen in privaten Händen. Alljährlich werden mehr als 9.000 Menschen damit getötet. In den meisten Bundesstaaten ist es leichter, eine Schusswaffe zu bekommen als einen Führerschein.

Wie stark die Schusswaffenlobby in den USA ist, zeigt sich vor jeder neuen Wahl, wenn Kandidaten beider Parteien vor der National Rifle Association (NRA) ein Gelübde ablegen, das Recht auf Schusswaffen zu verteidigen. Und wenn selbst jene Politiker, die dieses Gelübde verweigern, es nicht wagen, nach mehr Schusswaffenkontrolle zu verlangen.

Dieser Wahnsinn lässt sich – wenn überhaupt – nur in Momenten wie dem jetzigen stoppen. Vor dem tragischen Hintergrund von 20 erschossenen Kindern. Und von einem Präsidenten wie Barack Obama, der gerade eine Wahl gewonnen hat. Die rechten Kräfte sind ein wenig zurückgedrängt, die Öffentlichkeit ist über das Massaker entsetzt.

Obama hat sich nach der Schießerei von Newtown emotional stark berührt gezeigt. Wenn er künftige Schießereien verhindern will, muss er jedoch mehr tun, als Mitgefühl zeigen und beten. Er muss die Schusswaffenkontrolle zur politischen Chefsache machen – und die Lobbyisten dabei ignorieren. Als Erstes müssen Hintergrundchecks für alle Waffenkäufer eingeführt und der Verkauf und Besitz von Schnellfeuerwaffen gebannt werden. Und als Zweites steht die grundsätzliche Debatte über Waffenbesitz an. Nach Newtown ist beides moralischer Imperativ.