Er war schon sehr eigen

VENEZUELA Präsident Hugo Chávez ist im Alter von 58 Jahren seinem Krebsleiden erlegen. Seine Politik und sein Stil waren mal großartig, mal ogottogott. Was bleibt von Chávez? Und was wird aus Venezuela? ➤ SEITE 2, 3

Hugo Chávez wollte Lateinamerika einen und hat Venezuela gespalten

VON BERND PICKERT

Wie hältst du es mit Chávez? Seit 14 Jahren war das unter Linken heiß umstritten. Jetzt ist Hugo Chávez gestorben und der Streit bleibt. Verstaatlichung der Erdöleinnahmen und ihre Verwendung für Sozialprogramme? Super. Gängelung oppositioneller Medien? Verdächtig. „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“? Blödsinn. Solidarische Wirtschaftsbeziehungen im Süden? Großartig. Bündnisse mit Assad, Ahmadinedschad und Lukaschenko? Ogottogott. Breitseiten gegen George W. Bush? Einer muss es sagen. Erzwungene Vereinigung der Bündnisparteien zur „Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas“? Klingt nach Sozialismus des 20. Jahrhunderts. Singen, tanzen und plaudern in stundenlangen Fernsehshows? Wer’s mag. Ausstieg Venezuelas aus dem Interamerikanischen Menschenrechtssystem? Auweia. Mangelnde Investitionen in die Produktion, keine Veränderung der Erdölabhängigkeit Venezuelas? Oh je, das hält nicht lang.

Chávez hatte für alle etwas dabei. Aber was bleibt?

Chávez’ Wahlsieg 1998 war der Auftakt zu einer ganzen Reihe von linken Wahlerfolgen in Lateinamerika. In Bolivien, Ecuador, Brasilien, Chile, Argentinien, Uruguay und Paraguay kamen in der Folge Regierungen an die Macht, die zwar in Programmatik und Politik riesige Unterschiede aufwiesen, die aber eines einte: eine Abkehr vom Neoliberalismus, der im Chile der Militärdiktatur seinen Siegeszug in Lateinamerika begonnen, die Staaten der Region an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht und die sozialen Verwerfungen vergrößert hatte.

Mit Hugo Chávez hatte die noch 1989 beim als „Caracazo“ in die Geschichte eingegangenen Hungeraufstand unorganisierte Unzufriedenheit mit einer Politik, die weite Teile der Bevölkerung von der Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ausschloss, ihre Führungsfigur gefunden.

Und eine Führungsfigur war der charismatische Hugo Chávez – selbst wenn das vermutlich das Einzige ist, was niemand bestreiten wird. Gestützt auf den Ölreichtum Venezuelas, begann Chávez mit dem Umbau des Landes und dem Aufbau neuer außenpolitischer Allianzen. Seine ostentative Nähe zu allen, die von den USA zum Paria erklärt wurden, trieb europäische Linke bisweilen in den Wahnsinn.

Chávez polarisierte, im Land und international, die Nuancen verschwanden zugunsten unsäglicher Schwarz-Weiß-Malerei, auf beiden Seiten. Sein Versuch, eine ausreichend große Anti-US-Allianz aufzubauen, um für Venezuela einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erobern, scheiterte 2006 deutlich. Spätestens an diesem Punkt wurde klar, dass die gleiche Anti-US-Rhetorik, die ihn in Lateinamerika populär machte, eine realpolitische internationale Führungsrolle ausschloss.

In der Region jedoch bewirkte Chávez Veränderungen, die stets als undenkbar galten: Sein Fernsehprojekt Telesur setzte der Dominanz der US-basierten spanischsprachigen Nachrichtensender etwas entgegen. Die Unasur und die Celac, interamerikanische Allianzen ohne die USA, wären ohne Chávez genauso wenig zustande gekommen wie die von Argentinien, Venezuela und Brasilien getragene Entwicklungsbank Bancosur. Seine „Bolivarianische Allianz“ Alba blieb eher symbolisch. Ihre Attraktivität bestand darin, Kuba oder das wieder vom Altsandinisten Daniel Ortega autokratisch regierte Nicaragua Zugang zu verbilligtem Öl zu verschaffen.

Chávez hat Lateinamerika verändert. Der politische Druck, der von ihm ausging, wirkte sich auch auf gemäßigtere Kräfte aus. Zu Recht wurde Chávez’ harscher Umgang mit der Opposition und den Medien kritisiert. Er wollte Lateinamerika einen und hat Venezuela gespalten. Allerdings: Die alte venezolanische Elite, die bei Wahlen immer aufs Neue unterlag und dann im Verbund mit den großen Medien 2002 einen Putsch versuchte, hat ihrerseits wenig Respekt für demokratische Prozesse gezeigt. Sie hat umdenken müssen. Machterhalt wie früher geht nicht mehr.

Wie nachhaltig Hugo Chávez’ Wirkung ausfällt, wird die Geschichte zeigen. Sicher scheint, dass eine Politik unter Ausschluss der armen Bevölkerungsmehrheit nicht mehr machbar ist. Das erreicht zu haben, ist schon eine Menge.