KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE ZUR BUNDESTAGSWAHL
: Das Merkel-Gefühl

Wir bewegen uns auf eine Art Demokratie light zu, eine Spielart des Postpolitischen

Dass die Deutschen die scharfe Kontroverse scheuen und die Mitte mögen, ist keine große Neuigkeit. Aber dass die WählerInnen Angela Merkel fast zur Königin küren, ist auch für die hiesige politische Konsenskultur erstaunlich. Merkel hat dies mit weichem Paternalismus und geschicktem Opportunismus erreicht. Sie hat den Slogan „Uns geht es gut“ gesendet und damit die Botschaft verknüpft: „Und ich sorge dafür, dass dies so bleibt.“ Der Wahlkampf der Union hatte drei Inhalte: Merkel. Merkel. Merkel.

Das Erfolgsrezept der Kanzlerin ist relativ einfach. Die Politik, die sie präsentiert, hat keine hoch gesteckten Ziele. Alles bleibt im Ungefähren. Und fühlt sich nett, hübsch und samten an. Und wenn wir uns alle anstrengen, geht es immer so weiter. Immer weiter bergauf. So in etwa funktioniert das Merkel-Gefühl.

Damit die Opposition diese Wohlfühlinszenierung nicht stört, hatte die Kanzlerin ihr vorsorglich die Waffen aus der Hand genommen. Bei der Atomkraft ein schneller Schwenk, beim Mindestlohn ein vages „Machen wir irgendwie auch“. Dass die Euro- und Bankenkrise in dem Wahlkampf nicht vorkam, spricht Bände. Merkel will ihre Klientel damit nicht behelligen. Und die möchte davon auch lieber nicht viel wissen. Die SPD war ganz froh, dass sie niemand fragte. Es stimmt ja: Hätte Rot-Grün Eurobonds gefordert – Merkels Sieg wäre noch furchterregender ausgefallen. Wir bewegen uns auf eine Art Demokratie light zu, eine Spielart des Postpolitischen. Auf der Bühne balgt man sich ein bisschen, strategische Entscheidungen stehen nicht zur Wahl.

Merkels Sieg überstrahlt, dass das liberal-konservative Lager ausfranst. Die FDP, die eine neoliberale Generalrenovierung angekündigt hatte und in der Regierung noch nicht mal den Zaun neu anstrich, ist an sich selbst gescheitert. Und an der Alternative für Deutschland. Ohne AfD hätte es für die Liberalen, wie immer, gereicht. Der Erfolg der rechtspopulistischen AfD ist das Echo von Merkels Fixierung auf die Mitte.

Und die politische Linke? Rot-Grün allein hat keine Machtchancen. Das ist jetzt amtlich. Das einst „Neue Mitte“ getaufte Bündnis von Bildungsaufsteigern und Facharbeitern mit dem ex-alternativen Neobürgertum ist im Bund nicht mehrheitsfähig. Das war auch 2005 und 2009 so – und wird sich nicht ändern. Rot-Grün wird es in Zukunft, wenn überhaupt, nur mit der Linkspartei geben können.