KOMMENTAR VON BERNHARD PÖTTER ZU FREIHANDEL UND KLIMASCHUTZ
: Wildwest gegen Europäische Nicht-Union

Beim Thema Umwelt riskiert Europa eine dicke Lippe, um dann stets zu versagen

Verschwörungstheorien sind meistens Unsinn. Aber der Skandal um die „Treibstoffqualitätsrichtlinie“ zeigt, wie Umwelt- und Sozialvorschriften unter die Räder kommen können, wenn sie mit dem „Freihandel“, hier in Form der Ceta-Verhandlungen, kollidieren. Denn eigentlich ist Kanada für die EU ein lächerlicher Gegner, was Einwohnerzahl, politisches und ökonomisches Gewicht angeht.

Aber dieser ökologische Schurkenstaat, der einfach mal internationale Klimaverträge bricht, hat sich mit der mächtigsten Industrie der Welt zusammengetan, die in den Weiten der Prärie von Alberta gerade die nächste Kohlenstoffbombe zündet, als gäbe es nicht die immer dringenderen Warnungen vor einem ungebremsten Klimawandel. Und vor den „Argumenten“ der Ölkonzerne knickt dann die EU-Kommission ein.

Dabei hat Europa seit Jahren eine dicke Lippe riskiert, wenn es um Umwelt und Klimaschutz ging. Und dann regelmäßig versagt. Den EU-Klimazielen fehlen alle Ambitionen, der Emissionshandel ist ein Trümmerhaufen, bei den Emissionslimits für den Flugverkehr hat Brüssel den Schwanz eingezogen, und der designierte neue Klimakommissar ist mit der Ölindustrie verbandelt.

Man könnte sagen, die EU-Energie- und Klimapolitik ist auf den Hund gekommen – wenn das keine Beleidigung für die Hunde wäre.

Dass sich die Kanadier mit ihren Wildwestmethoden durchsetzen, hat vor allem einen Grund: Die EU ist in der Kommission und unter den Mitgliedstaaten in der Frage gespalten, wie eine gemeinsame Politik aussehen soll. In der neoliberalen Barroso-Kommission standen die Umweltpolitiker auf verlorenem Posten, unter den Staatschefs gibt es keine starke grüne Fraktion mehr. Auch in Junckers neuer Truppe lässt die Besetzung der Ressorts Klima, Umwelt und Energie Schlimmes vermuten. Das könnte sich nur ändern, wenn die neuen Kandidaten aus dem Europäischen Parlament und von der Zivilgesellschaft in Europa ordentlich Druck erfahren. Wenn etwa Frankreich aus Gründen des nationalen Prestiges Angst bekommt, der Klimagipfel 2015 werde in Paris ebenso scheitern wie 2009 in Kopenhagen. Und wenn sich der eine oder andere Regierungschef an die Fensterreden erinnert, die er oder sie noch drei Tage vor der Unterzeichnung des Ceta-Abkommens gehalten hat: auf dem UN-Gipfel zum Klima in New York.