KOMMENTAR VON RUDOLF BALMER ZUM NSA-ABHÖRSKANDAL IN FRANKREICH
: Das Ende der Naivität

Die staatliche Geheimhaltung funktioniert nur gegenüber den eigenen Bürgern

Et voilà: Dank einer Wikileaks-Veröffentlichung zur rechten Zeit wird die französische Öffentlichkeit darüber aufgeklärt, dass die NSA auch vor dem Élysée-Palast keinen Halt macht. Ein gewisses Misstrauen gegenüber den USA herrschte in Frankreich ja schon immer. Jetzt weiß man, dass dieses Misstrauen berechtigt und im Übrigen gegenseitig war: Die „Freunde“ in Paris wurden (und werden?) auf höchster Stelle belauscht, überwacht und ausspioniert.

In Paris bemüht man sich, der Öffentlichkeit ein Minimum an Überraschung über das Ausmaß der Enthüllungen vorzutäuschen. Aber das ist bloß Theater. Die Zeit der Naivität, in der man geglaubt hatte, Frankreich sei in der Welt der gegenseitigen Bespitzelung ein Sonderfall und der Élysée-Palast, also der Präsident und seine Berater, vor der Neugier der NSA sicher, ist definitiv vorbei.

Politik und Karriere, Konfliktbewältigung, Business und Kriegsführung finden in einem Glashaus statt, in dem die staatliche Geheimhaltung nur gegenüber den eigenen Bürgern funktioniert, nicht aber gegenüber den Spionagediensten der anderen, selbst der miteinander verbündeten Staaten. Darum ist auch der Zeitpunkt der Wikileaks-Enthüllung so gut gewählt und letztlich auch kein Zufall: Kurz darauf stimmten die Abgeordneten des Parlaments nämlich tatsächlich über eine „Antiterrorgesetzgebung“ ab, die den französischen Diensten massive Überwachungsmittel gewährt – natürlich alles im Namen der Demokratie und der demokratischen Kontrolle. Die Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo haben so ein ganz anderes Ziel erreicht – wie die USA nach dem 11. September hat Frankreich jetzt mit strengeren Sicherheitsgesetzen reagiert.

Vorbei ist auch die Schadenfreude in Paris, als herauskam, dass trotz „No Spy“-Versprechen und der Kooperation der deutschen Nachrichtendienste auch Angela Merkels Handynummer auf der Liste der NSA stand.

Statt hinter dem Rücken Washington beim Ausspionieren der engsten Freunde zu helfen, wäre jetzt eigentlich Solidarität im Kampf gegen die Überwachungsmanie der USA angesagt. Dazu müssten die europäischen Staaten aber selbst mit gutem Beispiel vorangehen, vor allem was Transparenz angeht, statt offiziell oder klammheimlich den Überwachungsstaat auf Kosten der Freiheit der eigenen Bürger weiter auszubauen.