„Völliges Versagen“

SCHÄDEN Stefano Leoni, Präsident des italienischen WWF, befürchtet eine schwere ökologische Krise

■ 49, Jurist und Universitätsdozent für Umweltrecht, ist seit 2009 Präsident des WWF Italien.

taz: Welche Risiken bringt die Ölpest unmittelbar mit sich?

Stefano Leoni: Jetzt entsteht der größte Schaden durch die Vergiftung des Ökosystems – der Vögel, der Fische, der Reptilien und Amphibien. Das Gleiche gilt für die Vegetation. Weitere Schäden könnten entstehen, sobald der Mensch in Kontakt mit diesen Substanzen gerät; aber dieses Risiko scheint im Moment ausgeschlossen, wenn wir von den Personen absehen, die unmittelbar in der Katastrophenabwehr tätig sind.

Und längerfristig?

Wenn das Öl eine ökologisch so wichtige Zone wir den Naturpark des Po-Deltas erreicht, dann stehen wir vor dem hohen Risiko einer schweren ökologischen Krise. Das ist eine der wichtigsten Zonen auf dem Weg der Zugvögel zwischen Nordeuropa und Afrika. Gerade in diesen Wochen ist wieder die Wanderung von Süden nach Norden im Gange.

Wie bewerten Sie die Interventionen der Behörden?

Der WWF will erreichen, dass die Behörden jetzt nicht bei der bloßen Eindämmung der Gefahr stehen bleiben, sondern über den Tag hinaus denken. Der Lambro und der Po sind ja schon vorgeschädigte Flüsse – sie sind keineswegs mit dem Rhein zu vergleichen, in dem man heute wieder schwimmen kann.

Die Behörden verbreiten dagegen Optimismus.

Wir hören jetzt, der Lambro soll bis 2015 so sauber sein, dass man wieder in ihm baden kann. In einem Monat finden in Ita- lien Regionalwahlen statt; auch in der Lombardei, der Emilia Romagna und dem Veneto – den drei jetzt betroffenen Regionen also – wird gewählt. Und solche optimistischen Versprechen sind für mich bloß Wahlkampf, solange niemand über die notwendigen, hohen Investitionen spricht.

Über die Ursachen einer solchen Katastrophe dagegen redet kein Politiker.

In der Tat steht der Fall auch für das völlige Versagen der Prävention. Eine Anlage wie die jetzt betroffene ehemalige Raffinerie unterliegt der sogenannten Seveso-Rechtlinie der EU. Die Firma hätte über einen Notfallplan verfügen müssen, der auch die Möglichkeit eines Attentats in Betracht zieht und darlegt, wie man solcher Notfälle Herr wird. Einen solchen Plan hat es in diesem Fall nicht gegeben.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN