BETTINA GAUS MACHT
: John aus dem Krieg

Erst nach Jahren erzählte mir ein Freund aus dem Südsudan seine Geschichte. An ihr wird klar, um wie viel es geht bei der Volksabstimmung in seiner Heimat, die nun beginnt

Es kann eigentlich nur schiefgehen. Von Sonntag an wird die Bevölkerung des Südsudan über die Frage abstimmen, ob die Region sich vom Norden abspaltet und ein unabhängiger Staat wird. Das Referendum ist Bestandteil des Friedensabkommens von 2005, das einen jahrzehntelangen Krieg zwischen dem christlich-afrikanischen Süden und dem muslimisch-arabischen Norden beendete.

Ich habe lange nicht geglaubt, dass es jemals zu der Volksabstimmung kommen würde. Und wenn es dahin käme, dann würde der Norden die Abspaltung nie akzeptieren. Schließlich liegt der größte Teil der sudanesischen Ölreserven im Süden, und Präsident Omar Hassan al-Bashir schreckt vor Gewalt nicht zurück. Wegen Völkermordes in der Region Darfur besteht gegen ihn ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs.

„Wir werden abstimmen, und wir werden unabhängig“, sagt ein Mann, den ich hier John Smith nenne – so gelassen, als ob er mir mitteilte, die Sonne ginge im Osten auf. „Es gibt keine Alternative.“

Ich bin mit John – einem sehr erfolgreichen kenianischen Unternehmer – seit über 20 Jahren befreundet, und ich meinte längst, ihn gut zu kennen. Schon wahr: Er sprach wenig über sich selbst und erzählte niemals von seiner Kindheit. Erst seit einiger Zeit weiß ich, warum. Er ist im Süden des Sudan geboren und floh als fünfjähriges Kind 1965 nach Kenia. Die Staatsbürgerschaft bekam er viele Jahre später nur durch einen Trick, was auch der Grund ist, weshalb ich seinen Namen hier nicht nenne.

Es gibt schlimmere Schicksale als das von John Smith. Zunächst wohnte er in einem Flüchtlingsheim, die katholische Kirche zahlte seine Schulgebühren. So weit, so geregelt. Einige Jahre später brach – vorübergehend – Friede aus. Für das damals zwölfjährige Kind eine Katastrophe. Die Familie war in alle Winde zerstreut, nach Hause konnte der Junge nicht. Aber er verlor seinen Flüchtlingsstatus.

Die Eltern sah er zum ersten Mal 1978 wieder. Nach 13 Jahren. Da war er 18, ein erwachsener junger Mann. Es gab lange Gesprächspausen.

John kapselte sich ab. „Es fiel mir sehr schwer, die Probleme anderer Leute ernst zu nehmen. Selbst als ich später selber Kinder hatte: Wenn sie weinten, wusste ich nicht, wie ich sie trösten sollte.“

In den letzten Jahren hat sich John verändert. Offener ist er geworden, er lacht mehr, er erzählt von sich. 2006 ist er zum ersten Mal zum alten Bauernhof seiner Eltern gefahren, in der Nähe der südsudanesischen Stadt Juba. Vom Elternhaus ist nur noch das Betonfundament übrig. „Aber ich habe die Gegend sofort erkannt. Ich war endlich nach Hause gekommen.“

Sollte der Staat nach der Volksabstimmung tatsächlich geteilt werden, stehen der Norden und der Süden vor riesigen Problemen. Der Grenzverlauf birgt neuen Stoff für Konflikte. Auf beiden Seiten würden Hunderttausende zu Ausländern im eigenen Land. Die Infrastruktur des Südsudan ist katastrophal, die internen Machtkämpfe dort sind noch nicht entschieden. Der Norden braucht die Einnahmen aus dem Öl, der Süden ist auf dessen Pipeline angewiesen.

Und wenn das Referendum doch gefälscht oder nicht anerkannt wird? „Dann gibt es Krieg“, sagt der freundliche, ruhige John entschlossen. Im letzten Krieg sind Millionen gestorben. Es darf nicht schiefgehen.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier