Urteil Sicherungsverwahrung: "Es könnte zu Aufständen kommen"

Sicherungsverfahrung in Deutschland ist verfassungswidrig. Der Kriminalwissenschaftler Johannes Feest erklärt, warum das Urteil ein reinigendes Gewitter ist, aber Tücken hat.

Zelle für Sicherungsverwahrte. Bild: dpa

taz: Herr Feest, viele Politiker begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ist das nicht erstaunlich? Sie haben die menschenrechtswidrige Gesetzeslage doch zu verantworten.

Johannes Feest: Ja. Aber das Gesetz ist seit 1933 immerfort verändert, entschärft und wieder verschärft worden. Im Ergebnis ist es wild zusammengestückelt und schwer lesbar. Daran haben verschiedene Regierung mitgewirkt, und am Ende ist etwas entstanden, was niemand zur Gänze billigt. Schon aus diesem Grund ist die Entscheidung ein reinigendes Gewitter.

Bald werden einige Täter aus der Sicherungsverwahrung kommen.

Die Einzigen, um deren Freilassung es sich ja eigentlich bei diesem Verfahren gehen sollte, sind diejenigen, bei denen etwas rückwirkend oder nachträglich angeordnet wurde.

Wie lässt sich das einer verunsicherten Bevölkerung erklären?

Indem man ihr vermittelt, dass eine rückwirkende Bestrafung oder Verlängerung der Bestrafung allen europäischen Rechtsordnungen widerspricht. Nur wir in Deutschland haben eine Extrawurst in Gestalt der Maßregel Sicherungsverwahrung.

Die Neuregelung sieht eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Sicherungsverwahrten mit Menschen in Freiheit vor. Geht es Sicherungsverwahrten künftig besser als anderen Gefangenen?

Natürlich geht es ihnen schlechter, weil sie womöglich für immer im Gefängnis bleiben müssen. Aber das Bundesverfassungsgericht will wenigstens ihre Haftbedingungen verbessern. Die Maßregeln gelten in Deutschland eben nicht als Strafe, sondern, wie die Juristen sagen, als "Sonderopfer". Es besteht darin, dass sie auch nach Verbüßung der Strafe präventiv verwahrt bleiben. Und wegen dieses Opfers, welches sie für die Gemeinschaft erbringen, sollen sie besser gestellt werden als die Strafgefangenen.

Wie soll das gehen?

Das Gericht schreibt vor, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung ein Behandlungs- und Betreuungsangebot enthalten soll, dass gezielte Motivationsarbeit geleistet und eine realistische Entlassungsperspektive eröffnet werden soll. Auch soll eine Angleichung an normale Lebensverhältnisse erfolgen. Allerdings sind das alles Dinge, die seit 1977 im Strafvollzugsgesetz stehen und für alle Gefangenen gelten sollen - auch wenn das oft nicht in die Tat umgesetzt wird.

Was ist dann mit dem "Abstandsgebot", von dem das Gericht spricht?

Es könnte nur darauf hinauslaufen, dass nun im Wesentlichen die Sicherungsverwahrten diese Haftbedingungen bekommen, die eigentlich für alle gelten sollten. Das wäre absurd.

Was würden die anderen Gefangenen davon halten?

Das würde zu Aufständen im Strafvollzug führen. Wenn ein Gefangener im normalen Vollzug feststellt, nebenan wird ein neues Gebäude bezogen, wo nur die Sicherungsverwahrten sind und die bekommen jetzt genau das, was im Strafvollzugsgesetz eigentlich für alle vorgesehen ist, aber die kriegen es wirklich. Das könnte auf Dauer nicht gut gehen und wäre auch juristisch nicht zu rechtfertigen.

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