Keiner hat’s gewusst

MEDIEN Rupert Murdoch weist Schuld für Abhörskandal von sich. Anhörung wegen Attacke unterbrochen

Rupert Murdoch erklärte, Angestellte seines Unternehmens seien verantwortlich

VON RALF SOTSCHECK

Im Grunde wusste niemand etwas. Verlegersohn James Murdoch, der für die europäischen und asiatischen Geschäfte von News International zuständig ist, ahnte nicht, dass der Abhörskandal bei der News of the World über die beiden Angestellten hinausging, die 2006 dafür hinter Gitter mussten. Auch Rebekah Brooks, damals Chefredakteurin des Blattes und bis zu ihrem Rücktritt am Freitag Geschäftsführerin bei News International, hatte davon keine Ahnung. Rupert Murdoch, Chef des Imperiums, wusste nicht, dass sein Sohn im Jahr 2009 einem Abhöropfer 700.000 Pfund gezahlt hatte, damit der Mann nicht vor Gericht zog. Der Betrag sei zu geringfügig gewesen, als dass man ihn hätte informieren müssen: Er sei kaum in das Tagesgeschäft involviert gewesen, sagte Murdoch.

Die beiden Murdochs und Brooks mussten sich gestern Nachmittag drei Stunden lang vor einem Ausschuss im britischen Unterhaus wegen des Abhörskandals verantworten, der bisher den Rücktritt von zwei Topmanagern aus Murdochs Imperium sowie der beiden höchsten Polizisten des Landes ausgelöst, zum freien Fall der Murdoch-Aktien, zu zehn Verhaftungen und zur Einstellung der erfolgreichsten englischsprachigen Zeitung der Welt geführt hat.

Rupert Murdoch erklärte, Angestellte seines Unternehmens seien für die Sache verantwortlich. „Wir müssen sie finden“, fügte er hinzu. „Das ist der Tag größter Demut in meinem Leben.“ Während der Befragung wurde der 80-Jährige, der zeitweise überfordert wirkte und Pausen bei seinen Antworten einlegte, von einem Zuhörer mit Rasierschaum attackiert, doch Murdochs Frau wehrte den Angreifer ab, der dann festgenommen wurde.

Die Vernehmung von Rebekah Brooks begann erst nach Redaktionsschluss. Aber die Polizei untersucht zurzeit einen Computer, ein Handy sowie Unterlagen, die in einem Mülleimer in einer Tiefgarage gefunden wurden. Brooks wohnt nebenan. Ihr Mann Charlie Brooks, ein Pferdetrainer, verlangte die Sachen von dem Angestellten einer Sicherheitsfirma zurück, doch da er nicht nachweisen konnte, dass sie ihm gehören, wurden sie der Polizei übergeben. Ein Sprecher des Ehepaars beteuerte, dass die Gegenstände Charlie Brooks’ Privateigentum seien. Er habe die Tüte einem Freund geliehen, der sie zurückbrachte, aber im falschen Teil der Tiefgarage abstellte. Eine Putzfrau müsse sie entsorgt haben.

Bereits ab Mittag wurden der ehemalige Chef von Scotland Yard, Paul Stephenson, der am Sonntag zurückgetreten war, und Stellvertreter John Yates, der einen Tag später seinen Hut nahm, vor einem Ausschuss des Innenministeriums vernommen. Die Polizisten müssen sich des Vorwurfs erwehren, dass sie aufgrund ihrer engen Beziehungen zur News of the World die Ermittlungen gegen das Blatt eingestellt haben. Scotland Yard hat zehn ehemalige Mitarbeiter der News of the World eingestellt, darunter den früheren Stellvertreter von Andy Coulson, dem ehemaligen Chefredakteur der News of the World und späteren Berater von Premierminister David Cameron. Beide Spitzenpolizisten sagten, sie hatten mit der Jobvergabe nichts zu tun, und wussten auch nichts von weitreichenden Schmiergeldzahlungen des Blattes an Polizisten.

Coulson soll von den Bespitzelungen nicht nur gewusst, sondern sie angeordnet haben. Das behauptete der ehemalige Gesellschaftsreporter der News of the World, Sean Hoare. Er wurde am Montag in seiner Wohnung tot aufgefunden. Der Tod des 45-Jährigen, der von Alkohol und Drogen abhängig war, sei nicht verdächtig, sagte die Polizei, ordnete aber eine Obduktion an.

Premierminister Cameron verkürzte seine Afrikareise am Montag und verschob die Sommerpause des Parlaments, damit er heute im Unterhaus zu dem Abhörskandal Stellung nehmen kann. Für ihn wird die Luft immer dünner.