GEORG LÖWISCH UNBELIEBT
: Ach was, Politik

Warum ist Winfried Kretschmann beliebt, obwohl er Politiker ist? Die Antwort ist erschütternd

Der Grüne Elmar Braun ist ein erfahrener Regierungschef. Zugegeben, er regiert nur im oberschwäbischen Maselheim, eine Gemeinde mit 4.373 Einwohnern. Aber dafür ist er schon zwanzig Jahre im Amt, er wurde am 24. März 1991 der erste grüne Bürgermeister Baden-Württembergs. Damit hat er gegenüber Winfried Kretschmann einen Vorsprung. Genau zwanzig Jahre und drei Tage.

Ich habe Braun immer mal angerufen, wenn ich etwas in Baden-Württemberg nicht verstanden habe, speziell bei den Grünen. Man muss zwar erst sein ziemlich komplexes Schwäbisch entschlüsseln, aber ich mochte, wenn er für mich Cem Özdemir oder Oswald Metzger ein bisschen entschlüsselte. Braun schwätzt unumwunden los. Geerdete Stimme von der Basis und dann auch noch zwei Jahrzehnte Regierungserfahrung. Wahnsinn. Gibt’s ja gar nicht.

„I bin grad in Italien, 28 Grad, wo gibt’s das schon diesen Sommer?“

Ich rufe diesmal wegen Winfried Kretschmann an. Warum wird der, obwohl er jetzt regieren muss, kein bisschen unbeliebt? Sondern immer beliebter? Grün-Rot kann sich zanken, Stuttgart 21 blühen, das Atomthema verschwinden. Aber dann kommt wieder eine Umfrage, in der die Befragten den Mann anhimmeln; in der jüngsten von Infratest-Dimap fanden 62 Prozent seine Arbeit gut.

„Der Winfried Kretschmann ist echt“, sagt Elmar Braun. Er erzählt, wie Kretschmann und er mal auf einem Grünen-Landesparteitag waren, vor 25 Jahren, in Asperg bei Ludwigsburg muss das gewesen sein. In der Landesgeschäftsstelle sollte der Posten einer Frauenbeauftragten geschaffen werden. „Für andere Themen gab’s so was ja auch nicht“, sagt er vergnügt. Sie waren dermaßen in der Minderheit mit ihrem Anliegen, die Schaffung dieses Postens zu verhindern.

Aber gerade dafür stehe ja Kretschmann: „Ich glaub, dass ihm die Beliebtheit nicht so wichtig ist.“

Klingt schon logisch. Kein Inszenierer. Kein Schleimer. Ein Macher. Beliebt, weil er nicht beliebt sein will.

„Er kann das tun...chrchh... was notwendig ist, das...chrch... merken die Leute“, sagt Braun durch die anscheinend löchrige Leitung aus Italien. „Pflicht...chrch....Tat..chr....Kanten..ch..“. Ich überlege. Wenn Elmar Braun recht hat, was bedeutet das in der Konsequenz? Ein Politiker, dem egal geworden ist, wie er ankommt? Der sagt: Gemecker gibt es immer. Argumente lassen sich für alles finden. Tun, was notwendig ist. Pflicht.

„Das Land vor der Partei...chrch....kommt..chr...“ Und wer bestimmt, was für das Land gut ist? „Chrch....“

Und wie ist das bei ihm in Maselheim? Braun erklärt, es sei richtig, dass die Bürgermeister acht Jahre Zeit haben bis zur nächsten Wahl. Und nicht vier oder fünf wie in der Politik.

Er sagt das wirklich: „Wie in der Politik.“

Ein Ministerpräsident, dem die Partei nichts mehr kann. Ein Bürgermeister, der sich schon nicht mehr zur Politik zählt. Und beide beliebt.

Ich frage Braun, was er in Erinnerung hat von jenem 24. März vor zwanzig Jahren, als er Regierungschef wurde in Maselheim in Oberschwaben. Und er erinnert sich an einen alten Mann, der ihm damals erklärt hatte, dass nun entweder das eine oder das andere komme: „Ritterkreuz oder Kriegsgericht.“

Ich wünsche noch glückliche Tage in Italien. Und denke: Oh. Das ist also der Schlüssel.

Der Autor leitet die sonntaz. Foto: Wolfgang Borrs