Gezielter Mord

RASSISMUS In Florenz erschießt ein Rechtsextremist zwei Senegalesen: Die Tat eines „einsamen Verrückten“ oder Ausdruck einer „rassistischen Kultur“?

Ein spontaner Demonstrationszug machte sich von der Piazza Dalmazia auf den Weg ins Zentrum

VON MICHAEL BRAUN

Zwei tote und drei schwer verletzte Männer aus Senegal, das ist die Bilanz des Amoklaufs eines rechtsradikalen Rassisten in Florenz, der am Dienstag seine Opfer auf zwei Märkten der Stadt gezielt nach ihrer Hautfarbe ausgesucht hatte.

Die ersten Schüsse fielen um etwa 12 Uhr auf dem Markt an der Piazza Dalmazia im Norden der Stadt. Der 50-jährige Gianluca Casseri, der in seinem Auto vorgefahren war, machte zwischen den Ständen systematisch Jagd auf schwarzafrikanische Straßenhändler, die dort wie gewohnt Handtaschen und Textilien zum Verkauf anboten. Casseri schoss drei Straßenhändler nieder. Samb Modou, 40 Jahre alt, und der 54-jährige Diop Mor waren sofort tot, das dritte Opfer wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Zwar versuchte der Inhaber eines Zeitschriftenstands, den Schützen festzuhalten, der Täter aber bedrohte ihn mit der Waffe und sagte: „Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich es mir noch mal überlegen.“ Dann fuhr er weg. Drei Stunden später tauchte er wieder auf, diesmal auf dem zentralen und auch von Touristen stark frequentierten Markt von San Lorenzo. Erneut verfolgte er Straßenhändler, erneut gab er mehrere Schüsse ab und verletzte dabei zwei Männer. Danach flüchtete er sich in eine nahe gelegene Tiefgarage, wo er dann, von der Polizei gestellt, die Waffe gegen sich richtete und Selbstmord beging.

Die senegalesische Community von Florenz – zu ihr gehören etwa 500 Personen, die in der Stadt selbst leben, außerdem pendeln zahlreiche Straßenhändler täglich von Pisa und anderen Städten der Toskana aus – reagierte mit empörten Protesten. Ein spontaner Demonstrationszug machte sich noch am Nachmittag von der Piazza Dalmazia auf den Weg ins Zentrum, „Italien ist rassistisch“ war einer der Sprechchöre. Am Ende versammelten sie sich vor dem Dom zu einem islamischen Gebet; auch der linke Präsident der Region, Enrico Rossi, stieß dazu.

Gianluca Casseri, der Täter, wurde von diversen Zeitungen sofort zum „italienischen Breivik“ ernannt. Casseri handelte offenbar, ebenso wie der norwegische Attentäter von Utoya, allein. In der toskanischen Rechten war er kein Unbekannter. Mit fanatisch antisemitischen Texten hatte sich Casseri den Ruf eines „Intellektuellen“ erworben. Aus der Provinz Pistoia stammend, hatte er dort regelmäßig das Haus der neofaschistischen „Casa Pound“ besucht, war aber dort nicht eingeschriebenes Mitglied.

„Die einsame Geste eines luziden Verrückten, die nichts mit organisierten Anschlägen zu tun hat“, so klassifizierte der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, das rassistisch motivierte Verbrechen. Enrico Rossi, Regionalgouverneur der Toskana und wie Renzi Mitglied der gemäßigt linken Partito Democratico, erklärte, er wolle am Samstag an der Demonstration in Florenz teilnehmen, zu der die senegalesische Community Italiens aufruft.

Insgesamt 70.000 Senegalesen leben in Italien, die meisten davon arbeiten – teils mit, teils ohne Genehmigung – als ambulante Händler. Regionalgouverneur Rossi ordnete das Ereignis allerdings völlig anders ein als Bürgermeister Renzi: „Man kommt nicht umhin, das Geschehene mit Einstellungen in Verbindung zu bringen, die klar fremdenfeindliche und rassistische Inhalte aufweisen und die wir bisher womöglich unterschätzt haben.“

In der Tat geschah der Amoklauf von Florenz, nur drei Tage nachdem in Turin eine wutentbrannte Menge ein Roma-Lager niedergebrannt hatte. Das Pogrom fand statt, nachdem ein 16-jähriges Mädchen ausgesagt hatte, es sei von zwei Roma vergewaltigt worden. Daraufhin hatten Bewohner des Turiner Viertels Le Vallette für vergangenen Samstag zu einem Protestmarsch gegen die Roma aufgerufen. Obwohl es schon im Vorfeld hieß, man werde das Stadtviertel „säubern“, war die Polizei nur mit wenigen Kräften präsent. Etwa dreißig der Demonstranten machten sich schließlich daran, das Lager komplett niederzubrennen. Inzwischen hat das Mädchen gestanden, es habe die Vergewaltigung erfunden, um vor ihrer strenggläubigen Familie den Verlust ihrer Jungfräulichkeit rechtfertigen zu können.