Die kalkulierte Eskalation auf der Insel Lampedusa

ABSCHOTTUNG Italien erklärte wegen der Flüchtlinge politischen Notstand, Griechenland baut Zaun

Die Regierung in Rom erklärte Lampedusa zum „nichtsicheren“ Hafen

BERLIN taz | Der Arabische Frühling brachte nicht nur nordafrikanische Diktatoren zu Fall, er durchlöcherte zeitweise auch die Sperrung der zentralen Mittelmeerroute von Tunesien und Libyen nach Italien und Malta.

Tausende nutzten die Gelegenheit und setzten nach Europa über. Besonders auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, dem Nordafrika am nächsten liegenden Punkt Italiens, spielten sich dramatische Szenen ab. In der ersten Jahreshälfte erreichten zeitweise Boote mit mehreren hundert Menschen am Tag das Eiland. Sie mussten dort unter katastrophalen Bedingungen leben: Bis zu 800 Menschen wurden in ein Barackenlager auf Lampedusa gesteckt, das offiziell nur 381 Plätze hat. Statt die Flüchtlinge umgehend auf das Festland zu bringen, ließ die Regierung die Situation eskalieren – wohl nicht ohne Hintergedanken: Italiens damaliger Innenminister Roberto Maroni sprach immer wieder von einem „politischen Notstand“ und forderte Hilfe von der EU. Zuvor hatte Maroni der tunesischen Übergangsregierung vergeblich Militärhilfe angeboten, um die – meist aus Tunesien stammenden – Migranten zu stoppen.

Im September brach in Lampedusa schließlich eine Revolte aus: Die Internierten legten Feuer, sie brachen aus, das Lager wurde völlig zerstört.

Die italienische Regierung nahm dies zum Anlass, wegen der nun fehlenden Infrastruktur, Lampedusa zu einem „nichtsicheren Hafen“ zu erklären. Hintergrund ist, dass Kapitäne jeden Schiffbrüchigen retten und in einen sicheren Hafen bringen müssen. Booten mit Schiffbrüchigen darf die Einfahrt nicht verweigert werden. Weil der nächste italienische Hafen, Porto Empedocle, deutlich weiter im Norden liegt, liegt die Verantwortung für die Aufnahme Schiffbrüchiger jedoch nun öfter auch bei Malta oder Tunesien. Das Auffanglager in Lampedusa ist bis heute geschlossen, Flüchtlingsboote müssen nach Sizilien weiterfahren – sofern sie durchkommen.

Auch über die östliche Mittelmeer-Route wuchs 2011 die Zahl der papierlosen Ankömmlinge – trotz eines neuen Abkommens zur Grenzsicherung zwischen Griechenland und der Türkei. Griechenland verfolgt seit Jahren die Strategie, Papierlose zur Abschreckung wochen- oder monatelang in Internierungslager wie das berüchtigte Fylakio in Thrakien zu stecken.

Nun soll ein Zaun die Landgrenze zur Türkei versiegeln: Am 19. Januar unterzeichnete Christos Papoutsis, Minister für Bürgerschutz, die Verträge zum Bau des Zauns. Der 5 Millionen Euro teure und 12,5 Kilometer lange Bau soll im Mai fertiggestellt sein. CHRISTIAN JAKOB