„Ein schwarzer Tag für die Freiheit“

USA Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney nutzt den Fall Chen als Waffe im amerikanischen Wahlkampf

WASHINGTON taz | Bis vor wenigen Tagen war der blinde Bürgerrechtler in den USA weitgehend unbekannt – inzwischen ist Chen Guangcheng in Washington zum Topthema avanciert: Die großen US-Medien berichteten am Freitag in ihren Schlagzeilen darüber, dass Chen am Vortag – per Telefon – in ein Hearing der Chinakommission im US-Kongress geschaltet worden war und die Amerikaner dort um Hilfe gebeten hatte.

Der voraussichtliche republikanische Präsidenschaftskandidat Mitt Romney benutzt die Affaire um Chen bereits für seine Wahlkampfzwecke – während das jährliche Wirtschaftstreffen, zu dem Außenministerin Hillary Clinton und Finanzminister Tim Geithner nach Peking gereist waren, in den USA völlig in den Hintergrund gerückt ist.

„Ein schwarzer Tag für die Freiheit und eine Schande für die Regierung Obama“, sagte Romney. Zuvor hatte er erfahren, dass Chen sich nach seinem sechstägigen Aufenthalt in der Pekinger US-Botschaft erneut unter Bewachung chinesischer Sicherheitskräfte befindet. Romneys Kommentar mag ein Manöver gewesen sein, um von einem Skandal in seinen eigenen Reihen abzulenken: Sein außenpolitischer Berater Richard Grenell hatte wenige Stunden zuvor das Handtuch geworfen, weil er massiv von rechten Republikanern wegen seiner Homosexualität angefeindet wurde.

Doch Romneys Kommentar zeigt zugleich, wie leidenschaftlich die Affaire Chen in den USA diskutiert wird. Im Repräsentantenhaus kümmert sich der Republikaner Chris Smith um den Fall des chinesischen Bürgerrechtlers. Smith ist ein Fürsprecher der Pro-Life-Bewegung in den USA und engagiert sich gegen die Ein-Kind-Politik in China.

Als Rechtsberater für betroffene Familien aus der Provinz Schandong hatte Chen gegen Zwangsabtreibungen in seiner Heimat gekämpft. Am Donnerstag organisierte der Abgeordnete Smith ein „Notfall-Hearing“ der Chinakommission des Kongresses. Dabei telefonierte er direkt mit Chen, der das Gespräch im Krankenhaus in Peking annahm. An Smiths Seite saß derweil der Exilchinese Bob Fu, ein evangelikaler Christ, der in Texas die Gruppe ChinaAid gegründet hat. Bob Fu übersetzte.

Am Telefon berichtete Chen unter anderem, die örtlichen Behörden hätten seit seiner Flucht aus dem Dorf Dongschigu sieben Videokameras in seinem Haus und davor einen elektrischen Zaun installiert und seiner Frau mit Gewalt gedroht. DOROTHEA HAHN