BETTINA GAUS MACHT
: Rassistische Lobhudelei

In Elogen funktionieren Westpolitiker gern Diktatoren zu Demokraten um. So verhöhnen sie die Demokratie

Es ist ja in Ordnung, dass ein Todesfall selten der Zeitpunkt ist, an dem endlich öffentlich die ungeschminkte Wahrheit über jemanden gesagt wird. Natürlich ist es netter zu behaupten, Onkel Paul sei so sinnenfroh gewesen, als am Grab daran zu erinnern, dass der Saufbold mehrfach nur knapp einem Prozess wegen sexueller Nötigung entronnen ist. Also nichts gegen Schönfärberei. Aber es sollte doch eine Grenze geben.

Wenn der ehemalige britische Premier Tony Blair den verstorbenen äthiopischen Ministerpräsidenten Meles Zenawi als „Hoffnung für die Demokratie in Afrika“ bezeichnet, dann ist das nicht nur sachlich falsch. Sondern eine menschenverachtende Form der Beleidigung für die Opfer des Despoten und für die große Zahl von Afrikanerinnen und Afrikanern, die für die Demokratisierung der Verhältnisse auf dem Kontinent kämpfen.

Man hätte über Zenawi durchaus Freundliches sagen können, also beispielsweise auf seine wirtschaftspolitischen Erfolge verweisen können. Aber als Demokrat lässt er sich – auch bei größtmöglicher Dehnung des Begriffs – beim besten Willen nicht beschreiben. Systematische Zensur, die Verfolgung Oppositioneller, massive militärische Aufrüstung und die Fälschung von Wahlergebnissen waren feste Bestandteile seiner jahrelangen Herrschaft.

Äußerungen westlicher Politiker über ihre Kollegen aus anderen Kulturkreisen sind häufig verräterisch. Unvergessen die Einschätzung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der russische Präsident Wladimir Putin sei ein lupenreiner Demokrat.

Was ist mit solchen Äußerungen wie denen von Schröder und Blair gemeint? Meistens ein Subtext, den inzwischen zwar fast niemand mehr öffentlich in eine Kamera spricht, der aber trotzdem von vielen Leuten verstanden wird: „Irgendwie“ ist das jeweilige Land, in dem die demokratischen Tyrannen herrschen, noch „nicht reif“ für die Demokratie, die „Mentalität“ sei eben eine andere, und wer das nicht verstehe, sei einfältig und naiv. Kurz: es raunt. Pech für Leute, die im Knast sitzen, weil sie – Mentalität hin oder her – gern in einer Demokratie leben wollen.

Die rühmenden Worte von Tony Blair über Meles Zenawi sind ein schönes Beispiel für Rassismus. Subtilen Rassismus, vielleicht unbewussten Rassismus – aber eben doch Rassismus. Allerdings gilt natürlich nicht jeder afrikanische Despot als Demokrat. Er muss ausländische Investoren ins Land bitten, strikt antikommunistisch sein und vor allem notfalls den USA im Kampf gegen islamistischen Terror militärisch zur Seite stehen. Wenn er all das tut – so wie Meles Zenawi –, dann kann er im Übrigen tun und lassen, was ihm gefällt. Warum wundern sich so viele Leute im Westen eigentlich, wenn in anderen Ländern ihre Aufforderungen zu „good governance“ und Demokratisierung so oft für verlogen und scheinheilig gehalten werden?

In vielen afrikanischen Ländern gibt es übrigens durchaus Fortschritte in Hinblick auf Demokratisierung und Aufbau der Zivilgesellschaft. Vor allem im Bereich der Pressefreiheit. Die kenianische Tageszeitung Standard überschrieb einen Artikel zum Tod von Meles Zenawi so: „Haben Afrikas unsterbliche starke Männer sich endlich bereit erklärt zu sterben?“ Zenawi war zwar bei seinem Tod erst 57 Jahre alt. Aber manchen Leuten scheint allmählich die Geduld auszugehen. Mit Mentalitäten hat das übrigens nichts zu tun.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto A. Losier