Der Richter und seine Henker

JUSTIZ Die Franco-Diktatur ist in Spanien tabu. Richter Garzón hielt sich nicht daran und steht jetzt selbst vor Gericht

■ Der Termin: Am nächsten Dienstag beginnt der Prozess gegen Richter Baltasar Garzón wegen dessen Ermittlungen zu Verbrechen der Franco-Diktatur.

■ Der Fall: 2006 nimmt Garzón eine Sammelklage von Opfern der Franco-Diktatur an. 2008 beginnt die Suche und Öffnung von Massengräbern der über 112.000 Verschwundenen. Höhere juristische Instanzen stoppen die Untersuchungen. 2009 lässt der Oberste Gerichtshof eine Klage wegen Rechtsbeugung gegen Garzón zu.

■ Der Jurist: Seit 2011 arbeitet er als Berater am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

AUS MADRID REINER WANDLER

Was sich in Spanien abspielt, ist der Stoff, aus dem man Hollywood Filme macht: Starrichter Baltasar Garzón ermittelt erst gegen Chiles Diktator Augusto Pinochet, dann nimmt er sich die Verbrechen des Franco-Regimes in Spanien vor. Er erlangt internationale Anerkennung. Doch im zweiten Teil wird der Jäger zum Gejagten. Im Jahr 2011 wurde Garzón nach 22 Jahren an der Audiencia Nacional, dem obersten Strafgerichtshof Spaniens, vom Dienst suspendiert und muss sich nun ab kommenden Dienstag gegen den Vorwurf der „Rechtsbeugung“ verteidigen. Trotz einer Amnestie von 1977 hatte er es gewagt, eine Anzeige anzunehmen – erstattet von den Opfern des spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren und der anschließenden Diktatur von General Francisco Franco. Mindestens 112.000 Menschen sind damals verschwunden, 30.000 Kinder wurden ihren Eltern weggenommen, um sie an regimetreue Familien zu geben. Garzón sah darin ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Solche sind nach der internationalen Rechtsauffassung nicht amnestierbar und verjähren auch nicht.

Garzón wurde dennoch von höheren Instanzen gezwungen, die Ermittlungen ruhen zu lassen. Zwanzig Jahre Berufsverbot drohen ihm nun für seinen Mut. Die Kläger, die das Verfahren gegen den Richter ins Rollen brachten, sind drei faschistische Organisationen – darunter die Franco-Partei Falange.

Wie um sicher zu gehen, dass der unbequeme Richter nicht entwischt, wurde bereits am vergangenen Dienstag ein weiterer Prozess gegen ihn eröffnet. Wegen eines angeblichen Verfahrensfehlers im größten Korruptionsverfahren des Landes fordern die Kläger ebenfalls Berufsverbot. Garzón hatte angeordnet, Gespräche prominenter Untersuchungshäftlinge mit ihren zum Teil ebenfalls involvierten Anwälten abzuhören, um zu verhindern, dass Beweise vernichtet und Konten geräumt werden. Obwohl Staatsanwaltschaft und andere Ermittlungsrichter dies als gültig ansehen, wird Garzón auch hier „Rechtsbeugung“ vorgeworfen. Die geforderte Strafe: 17 Jahre Berufsverbot.

„Der Fall Garzón ist eine ganz klare Verfolgung mit dem Einverständnis der beiden großen Parteien“, ist sich Emilio Silva, ein Sprecher der Plattform gegen die Straffreiheit für die Verbrechen des Franco-Regimes, sicher. Er kann nicht verstehen, dass in „Spanien bis heute kein einziger Richter, kein einziger Militär“ für die Verbrechen der Diktatur zur Rechenschaft gezogen wurde.

Im Jahr 2006 bekam Garzón eine Sammelklage in die Hände. Er wandte die gleiche Rechtsauffassung an wie bereits 1998, als er einen internationalen Haftbefehl gegen den mittlerweile verstorbenen chilenischen Diktator Augusto Pinochet einleitete. Aus seiner Sicht ist das Verschwindenlassen Zehntausender auch in Spanien ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. „Mich erstaunt dieser Widerstand, anzuerkennen, dass hier ein Regime an der Macht war, das die grundlegendsten Rechte nicht respektiert“, erklärte Garzón angesichts der ihm bevorstehenden Verfahren Vertretern der internationalen Presse.

„Ich bin immer sensibel Aspekte der spanischen Gesellschaft angegangen, und habe dabei – wie es meine Art ist – gründlich gearbeitet“, beschrieb Garzón. Das Recht auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung ist für den Sohn einer einfachen, südspanischen Familie ein Menschenrecht.

Nach den „Fällen Garzón“ wird sich in Spanien kaum noch ein Richter trauen, die Geschichte aufzuarbeiten oder die Korruption der großen Parteien anzugehen

Der Richter gilt als Arbeitstier. Bis tief in die Nacht saß er oft in seinem Gericht Nummer 5 an der Audiencia Nacional. Sein Ehrgeiz, sein Erfolg und Ruhm verschaffte, ihm viele Neider. Er gilt sowohl der Vereinigung der konservativen Richter als auch den fortschrittlichen Richtern für die Demokratie, zu deren Gründern der Vorsitzende im Verfahren gegen Garzón in Sachen Franco-Diktatur gehört, als unliebsamer Kollege.

Doch ohne Juristen wie ihn wäre das internationale Recht, wie es heute in Den Haag zur Anwendung kommt, kaum denkbar. Das ihm dies jetzt als „Rechtsbeugung“ ausgelegt wird, schmerzt. „Dieser Begriff steht für das Absurde, das nicht zu Verteidigende“, erklärt Garzóns Anwalt, Gonzalo Martínez-Fresneda. Das Gesetz sei eben keine starre Angelegenheit, sondern diskutier- und auslegbar.

Als „ein perfektes Gewitter“ beschreibt Garzóns Verteidiger Martínez-Fresneda, was mit seinem Mandanten geschieht. „Ich glaube nicht, dass er an die Audiencia Nacional zurückkehren kann, selbst wenn er freigesprochen wird“, prophezeit er. Die meisten Prozessbeobachter sind sich einig: Egal wie die Verfahren ausgehen, nach den „Fällen Garzón“ wird sich in Spanien kaum noch ein Richter trauen, die Geschichte aufzuarbeiten oder die Korruption der großen Parteien anzugehen. „Sie erschossen Garzón an der Mauer der Demokratie“, titelt ein Blog auf der Seite der spanischen Tageszeitung El Público.