Ausgezeichnete Stromrebellin

Kein Porträt kommt ohne den Hinweis auf ihr Piercing, ihr Wuselhaar und ihr Alter aus

Einen Preis hat Luise Neumann-Cosel schon gewonnen: Gerade haben die Elektrizitätswerke Schönau die Anti-Atom-Aktivistin mit dem „Schönauer Stromrebell 2013“ ausgezeichnet. Doch Neumann-Cosel, Jahrgang 1986, kämpft gerade um eine lukrativere Prämie: Berlins Stromverteilnetz, mit 35.000 Kilometer Leitungen das größte in Deutschland. Den Betrieb musste der Stadtstaat neu ausschreiben, 2014 soll das beste Angebot den Zuschlag erhalten. Deshalb hat Neumann-Cosel die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin mit gegründet: Sie soll bis zu 49 Prozent übernehmen, die Mehrheit soll ein landeseigenes Unternehmen halten. „Öffentliche Hand und Bürgerhand Hand in Hand, damit bringen wir die Energiewende vor Ort voran“, sagt Neumann-Cosel. Ihr Hauptziel: die Ablösung des aktuellen Betreibers, einer Tochtergesellschaft des Atom- und Kohlekonzerns Vattenfall.

Die Schönauer haben mit Neumann-Cosel einen Werdegang ausgezeichnet, für den die Diplom-Geoökologin das prominenteste Beispiel ist: vom Anti-Atom-Widerstand gestern zur Gestaltung der Energiewende heute. Neumann-Cosel demonstrierte mit 16 erstmals im Wendland, saß Jahr für Jahr bei Castor-Blockaden auf der Straße, wurde Pressesprecherin von X-tausendmal quer und arbeitete für das Bündnis „Ausgestrahlt“. Diese Erfahrung hilft ihr nun, um in Berlin überhaupt Interesse für die Zukunft des Stromnetzes zu wecken. Denn das Vergabeverfahren ist eine komplizierte Materie, Vattenfall klebte Plakate mit dem Satz „Schön, dass Sie das nicht interessieren muss“.

Ein Trugschluss: Mit 230.000 Unterschriften war ein Volksbegehren, das das Land zu mehr Einfluss auf die Energieversorgung verpflichten will, erfolgreich. Ein Volksentscheid steht an. Auch wenn Neumann-Cosel zum Vorstand der Genossenschaft und nicht zum Team des Begehrens gehört: Sie dürfte durchaus Anteil am Erfolg haben. Denn in der Männerwelt der Energiewirtschaft ließ ihre Geschichte aufhorchen: Kein Zeitungsporträt, das ohne den Hinweis auf ihr Nasenpiercing, ihr Wuselhaar und ihr Alter von 27 auskam. Dabei ist Neumann-Cosels Auftreten alles andere als wild, sondern vielmehr kontrolliert, lieb und gut – fast ein wenig langweilig. Stereotyp unantastbare Aktivistin. Vom Kampf, der um Berlins Energiezukunft tobt, dürften trotzdem schon viele gehört haben. SEBASTIAN PUSCHNER

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