Furchtloser Dissident

Er prangert Korruption an und skrupellose Unternehmer, die vergiftete Lebensmittel unters Volk bringen. Zum Verhängnis geworden ist ihm, all diese Punkte öffentlich anzusprechen. Wegen angeblicher „Störung der öffentlichen Ordnung“ wird dem Bürgerrechtler Xu Zhiyong am Mittwoch nun der Prozess gemacht.

Der 40-jährige Juradozent gilt neben dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo als einer der bekanntesten Bürgerrechtler in der Volksrepublik. Xu stammt aus der armen Provinz Henan, schaffte es aber an die renommierte Peking-Universität. Bereits am Anfang seiner beruflichen Laufbahn, im Olympiajahr 2008, machte er sich einen Namen, als er den Opfern des Melamin-Skandals Rechtsbeistand leistete. Mehrere Unternehmer hatten die giftige Chemikalie in Milchpulver gepanscht. Hunderttausende Säuglinge erkranktes, sechs von ihnen starben.

Im Jahr darauf gründete Xu mit einer Reihe von anderen Juristen, Journalisten und Universitätsprofessoren zunächst eine Organisation zur Stärkung der Verfassung. Sie wurde 2009 verboten und Xu das erste Mal verhaftet. Nachdem sich US-Präsident Obama persönlich für ihn einsetzte, kam Xu wieder auf freien Fuß, wurde aber im Oktober 2010 erneut für einige Tage festgenommen. Es war der Tag, an dem die Verleihung des Friedensnobelpreises an den seit 2009 inhaftierten Schriftstellers Liu Xiaobo bekannt wurde. Xu ist ein Freund des Literaten.

2012 rief Xu mit anderen Mitstreitern das Netzwerk „Bewegung neuer Bürger“ ins Leben. Sie stellte sich explizit auf den Boden der chinesischen Rechtsordnung und griff die Probleme auf, die die kommunistische Führung auch als „Hauptübel“ identifiziert hat: die auf allen Partei- und Regierungsebenen grassierende Korruption.

Doch während der seit einem Jahr amtierende Staatschef Xi Jinping die Bekämpfung der Korruption gar zur Chefsache erklärte, wird das Engagement des Netzwerks nicht gern gesehen. Im Juli 2013 nahm die Pekinger Polizei Xu erneut in Haft.

Der am Mittwoch beginnende Prozess wird Aufschluss darüber geben, wie die neue Führung generell mit kritischen Stimmungen umzugehen gedenkt. Gut sieht es nicht aus. FELIX LEE