Wenn Feinde sich verbünden

USA In einer Prozession am Samstag protestieren Native Americans und „Cowboys“ gegen eine ausländische Pipelinegesellschaft

Unterdessen ist die Anti-Pipeline-Bewegung stark geworden. Sie hat Demonstrationen, Petitionen und Landbesetzungen organisiert und vor Gericht geklagt

AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN

Einst kämpften sie erbittert gegeneinander um das Land. Jetzt verteidigen sie es gemeinsam gegen eine ausländische Pipelinegesellschaft. Am World Earth Day reiten sie hoch zu Pferde in die US-Hauptstadt ein – die einen mit Stiefeln und breitkrempigen Hüten, die anderen mit Federschmuck und Totems. Auf der Mall, der großen Grünfläche, die das Kapitol mit dem Weißen Haus verbindet, schlagen sie Tipis auf. In der Mitte des Zeltdorfs entfachen sie ein Lagerfeuer. Fünf Tage lang organisieren sie Zeremonien in den Machtzentren des Landes. Zum Abschluss wollen sie sich am Samstag in einer „Prozession“ zum Kongress bewegen: mit spirituellem Gesang und politischen Slogans.

Sie nennen sich CIA (Cowboy Indian Alliance). Sie wollen den US-Präsidenten davon überzeugen, die Keystone XL zu stoppen. Barack Obama denkt seit fünf Jahren über diese Pipeline nach. Und kommt immer noch zu keiner Entscheidung. Erst am späten Karfreitagnachmittag hat sein Außenministerium erneut eine Verzögerung verkündet. Die für die nächsten Wochen erwartete Entscheidung über die Pipeline soll nun erst zum Jahresende kommen.

Der Einfluss der Öllobby

Die rund 3.500 Kilometer lange Pipeline, die Schweröl aus den Teersanden im Norden von Alberta zu den Raffinerien am Golf von Mexiko nach Texas bringen soll, hat die historischen Gegner zu Alliierten gemacht. Auf dem Weg zu den Raffinerien führt die Pipelineroute durch zwei Provinzen in Kanada und sechs Bundesstaaten in den USA, wo sowohl „Indianer“ als auch „Cowboys“ leben. Die Route geht durch die riesigen Weizenanbau- und Rinderzuchtgebiete des Mittleren Westens und durch Stammesgebiete der Blackfoots, Crows, Sioux, Pawnees und Apachen.

Als der kanadische Konzern TransCanada im Jahr 2008 seinen Antrag bei der US-Regierung in Washington einreicht, sieht es nach Routine aus: ein weiteres milliardenschweres Ölprojekt, das in der US-Hauptstadt, wo die Öllobby Einfluss in sämtlichen Institutionen hat, durchgewunken werden wird.

Doch bei der Keystone XL läuft es anders. Statt der Routine entsteht längs der Pipelinestrecke und in vielen Großstädten des Landes die stärkste und zugleich überraschendste Umweltbewegung seit Jahrzehnten. Ihre Akteure kommen aus dünn besiedelten Gebieten, wo die besonders ölfreundliche Republikanische Partei über solide Mehrheiten verfügt und wo Umweltschützer abschätzig als verspätete Hippies und als tree hugger – Baumumarmer – gelten. Aus den Großstädten gesellen sich Linke, ein paar Hollywoodstars und Naturwissenschaftler dazu. Auch der Topklimaforscher der Nasa ist dabei. James Hansen bezeichnet die Förderung des Schweröls aus den Teersanden in Kanada als das „letzte Spiel für das Klima“. Seine Erklärung: „Wenn wir diese neue Ölquelle voll ausbeuten und weiterhin konventionelles Öl, Gas und Kohle verbrennen, wird die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre höher werden als im Pliozän vor mehr als 2,5 Millionen Jahren, als der Meeresspiegel mindestens 50 Fuß höher war als heute.“ Bei 15 Meter Anstieg würden zahlreiche Orte in den USA und im Rest der Welt versinken.

Als der Konzern TransCanada, der damals eine kurzfristige Partnerschaft mit der US-amerikanischen ConocoPhillips hatte, sein Projekt in Washington einreicht, befindet sich Barack Obama im Wahlkampf. Er bezeichnet den Umgang mit Energie als zentrales Thema unserer Zeit und will sein Land zu einem „globalen Führer“ gegen den Klimawandel machen. Doch einmal im Amt, scheitert Obamas Versuch, Kohlenstoffabgaben zu begrenzen. Die Freunde von big oil und big coal im Kongress bringen das Vorhaben zu Fall. Vier Jahre später, als er erneut kandidiert, wartet Obama mit dem Thema Klimawandel, bis er die Wahl gewonnen hat.

Unterdessen ist die Anti-Pipeline-Bewegung stark geworden. Sie hat Demonstrationen, Petitionen und Landbesetzungen organisiert und vor Gericht geklagt. Immer wieder haben sich Pipelinegegner auch an das Gitter vor dem Weißen Haus gekettet und sich medienwirksam festnehmen lassen. Weil die Keystone XL die internationale Grenze zwischen Kanada und den USA quert, kann sie nur gebaut werden, wenn die US-Regierung zustimmt. Anfang 2012, als in Nebraska selbst der republikanische Gouverneur kritisiert, dass die Route durch eines der größten Wasserreservoire des Planeten, das Ogallala-Gebiet, führen soll, tritt Washington auf die Bremse. TransCanada muss sich eine neue Route suchen. Manche Pipelinegegner freuen sich bereits über einen Erfolg. Doch wenige Woche später eröffnet Präsident Obama ein paar Hundert Kilometer weiter in Cushing, Oklahoma, die Bauarbeiten am Südbein der Pipeline. Während die Route im Norden bis heute nicht bewilligt ist, fließt seit diesem Januar Öl durch das Südbein: von Oklahoma bis an die Golfküste in Texas.

Die Rancherin Julia Trigg Crawford aus Paris, Texas, hat sich vergeblich gegen die Pipeline auf ihrem Land gewehrt. Auch sie ist in dieser Woche in Washington in der Mall, um gegen die „Beschlagnahmung unseres Landes durch einen ausländischen Konzern zu protestieren“. Über den Präsidenten sagt sie: „Leider ist er unwillig, eine Entscheidung zu fällen.“ Jane Kleeb, Anti-Pipeline-Aktivistin aus Nebraska, betrachtet hingegen die jüngste Verschiebung der Pipelineentscheidung als „ziemlich brillant“. Sie glaubt, dass Obama es damit geschafft hat, das Pipelinethema aus den Wahlen herauszuhalten.

Arbeitsplätze und gutes Öl

Im November sind „Halbzeitwahlen“. Viele Demokraten – besonders in den mehrheitlich republikanischen Bundesstaaten – zittern um ihre Sitze in Repräsentantenhaus und Senat. Verschiedene Ölmagnaten haben Kampagnen gegen sie begonnen. Die Leitmotive: Öl aus dem befreundeten Kanada sei besser als Öl aus anderen Ländern – womit Saudi-Arabien, Mexiko und Venezuela gemeint sind. Und: Die Pipeline würde Tausende Arbeitsplätze schaffen, die Obama verhindere. Das widerspricht der Einschätzung des Außenministeriums in Washington. Denn aus dem Antrag der TransCanada werden außer den kurzfristigen Jobs beim Bau der Pipeline lediglich ein paar Hundert langfristige Arbeitsplätze entstehen.

„TransCanada verschmutzt unsere Trinkwasser, und nichts geschieht“, steht auf einem Transparent. Ein „Indianer“ und ein „Cowboy“ stehen in dem wadenhohen Wasser des Wasserbeckens zwischen Lincoln-Memorial und Washington-Obelisk und halten den Schriftzug hoch. Zur neuerlichen Verschiebung ihrer Entscheidung versteckt die US-Regierung sich hinter Rechtsstreits in Nebraska. Der Präsident und sein Außenminister John Kerry, der auch den Klimawandel als „prioritär“ betrachtet, gewinnen ein paar Monate Zeit und halten die Pipeline, an der sowohl Stimmen als auch Wahlkampfgelder von Umweltschützern hängen, aus einer politisch riskanten Phase heraus. In derselben Zeit werden andere Entwicklungen ihre Entscheidung beeinflussen: Die heimische Produktion von Gas und Öl – meist mit der Frackingmethode – wird in rasantem Tempo weiterhin ansteigen und die Notwendigkeit von Ölimporten senken. Die kanadische Förderindustrie wird den Ausbau von Pipelines an die kanadische Westküste versuchen. Der Sommer könnte weitere Wetterveränderungen, Dürren oder Waldbrände bringen und den Klimawandel stärker bewusst machen. Und bis zum Jahresende werden die internationalen Vorbereitungen für den Klimavertrag der Vereinten Nationen auf Hochtouren laufen.

Wenn Obama ein Jahr später, beim Gipfel in Paris, die USA als globalen Leader in der Klimapolitik platzieren will, schadet es, eine Pipeline zu bewilligen, die das dreckigste Öl des Planeten auf den Weltmarkt bringt.

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