KLISCHEES UNTER NACHBARN
: Brasilianische Kongolesen

aus Goma

DOMINIC JOHNSON

Die Brasilianer hätten im Halbfinale gegen die Deutschen ja gespielt wie Kongolesen, lästerten „drüben“ die benachbarten Ruander. Das erzählt ein Kongolese in Goma, der ostkongolesischen Millionenstadt direkt an der Grenze zu Ruanda. Er wohnt selbst „drüben“, in Gomas ruandischer Zwillingsstadt Gisenyi. Dass sich die Ruander nicht nur für die besseren Kongolesen halten, sondern auch für bessere Deutsche, ist in dieser kriegsgeschüttelten Region Afrikas bekannt. Wer im Ostkongo ordentliches Personal will, ob Soldaten oder Bauarbeiter, holt es aus Ruanda.

Jetzt sind die Kongolesen für die Ruander also auch noch die schlechteren Brasilianer. Dass Brasilien und Kongo viel gemein haben, das betonte der wichtigste ostkongolesische Oppositionsführer Vital Kamerhe vor einigen Jahren in einem Buch: die Flüsse Amazonas und Kongo, riesige Regenwälder, großes wirtschaftliches Potenzial. Wäre ich bloß Präsident, schwang da mit, dann wäre ich Lula und könnte das Land wachküssen.

In einer Stadt wie Goma, die mitten im Dauerkriegsgebiet ewig wartet, wachgeküsst zu werden, glaubt man solchen Verheißungen aber nicht. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Unverdrossen wird jeder Dollar in Rohbauten aus Lavastein verwandelt, einer protziger als der nächste, viel zu dicht aneinander. Da hinten baut der Direktor des Finanzamts, sagt der Kellner im Restaurant und zeigt aus dem Fenster auf den größten und hässlichsten Rohbau unten am See. Es entstehen aber sogar Bürogebäude mit Spiegelglasfronten und sauberen Bürgersteigen davor, genau wie in Ruanda.

Die wichtigste Investorin ist die First Lady des Kongo, Olive Lembe, Ehefrau von Präsident Joseph Kabila. Sie war in früheren Zeiten einmal eng mit Vital Kamerhe befreundet, manche sagen: zu eng, weswegen Kamerhe irgendwann in die Opposition musste. Olive Lembe macht jetzt das Gegenteil des Modells Brasilien. Sie hat die halbe Seefront in Goma aufgekauft, dazu gigantische Ländereien in den Bergen, auch die Farm, auf der einst Rebellenchef Laurent Nkunda Hof hielt, und diverse Betriebe im ganzen Umland.

Olive ist hier praktisch zu Hause; sie wuchs in eher normalen Verhältnissen in Gomas Marktviertel Birere auf. Jetzt ist sie reich und mächtig und übernimmt Gomas Wirtschaft. Das spült Geld in die Region und erzeugt Loyalität. Nie waren Rebellengruppen hier so unattraktiv. Olive küsst Goma wach, das sehen die Bewohner. Die Hauptstraßen der Stadt werden repariert, manche mehr als nur notdürftig. Nachdem es vorher fünf Jahre gedauert hatte, um 1.700 Meter Straße zu teeren, sind jetzt fast überall die großen gelben Baumaschinen der lokalen Baufirma Traminco am Werk. Besonders ungewohnt: Sogar die Straße, die an den ganzen Seegrundstücken vorbei zur Universität und zum Gouverneurssitz führt, wird instand gesetzt, zuletzt ähnelte sie an manchen Ecken eher einem Steinbruch. Mit Planierraupen wird frische Erde aus dem Steinbruch des traditionellen Königs Butsitsi am Stadtrand in die Schlaglöcher gepresst und plattgewalzt, damit Olive zwischen ihren Immobilien hin- und herfahren kann. Das hält zwar nur bis zum nächsten Regen. Aber es hat ja schon seit einem Vierteljahr nicht mehr richtig geregnet. Wieso sollte sich das jetzt ändern?