Unmenschlichkeit als Konzept

GRENZEN Italien bietet für Flüchtlinge unzumutbare Zustände. Trotzdem müssen viele zurück

ROM taz | Die meisten Berliner Flüchtlinge setzten in Italien zum ersten Mal den Fuß auf europäischen Boden, auf Lampedusa oder Sizilien. Einigermaßen eindeutig ist damit die Rechtslage: Nach den Regeln des europäischen Dublin-III-Abkommens wäre alleine Italien für Aufnahme und Abwicklung des Asylverfahrens zuständig.

Doch in der Abneigung gegen die Dublin-III-Regel sind sich der italienische Staat und die Flüchtlinge einig. Immer wieder reklamiert die Regierung in Rom, sie schütze im Mittelmeer nicht bloß eine Landes-, sondern „die Südgrenze Europas“. Derweil stimmen die Flüchtlinge mit den Füßen ab.

Im Zeitraum 1. August 2013 bis 31. Juli 2014 kamen, so das italienische Innenministerium, 117.000 Menschen auf dem Seeweg nach Italien; doch bloß 35.400 von ihnen reichten in Italien einen Antrag auf Asyl oder humanitären Schutz ein. Die stärksten Flüchtlingsgruppen stammten im letzten und im laufenden Jahr aus Eritrea und Syrien, sie machen etwa die Hälfte aus. Doch bis Ende 2013 stellten bloß 695 der über 11.000 eingetroffenen Syrer in Italien einen Asylantrag; zum Vergleich: In Deutschland waren es fast 12.000, in Schweden 16.000. Nicht viel anders ist die Situation bei den Eritreern; knapp 10.000 kamen 2013 in Italien an – doch nur 2.200 beantragten Asyl.

Italien hilft dabei stillschweigend: Viele der Flüchtlinge werden gar nicht mit ihren Fingerabdrücken erfasst und machen sich gleich auf die Weiterreise, per Zug oder mit Hilfe von Schleppern im Auto. Zudem schafft der Staat negative Anreize, wie mittlerweile Dutzende Urteile deutscher Verwaltungsgerichte bestätigen, die die Rückschiebung von Flüchtlingen nach Italien abgelehnt haben, wegen schlicht „unmenschlicher Zustände“. In der Regel sechs Monate werden die Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen beherbergt – und dann stehen sie auf der Straße, ohne Einkommen, ohne Wohnraum, oft ohne Zugang zu medizinischer Versorgung. Allein in Rom, so schätzt der eritreische Priester Mussie Zerai, lebten mindestens 5.000 Flüchtlinge „als Penner auf der Straße“.

Derweil meldete sich angesichts der in Deutschland steigenden Flüchtlingszahlen Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in der Bild-Zeitung zu Wort und drohte mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen. MICHAEL BRAUN